Seit vielen Jahren biete ich den Teilnehmern meiner Seminare an, nach der Mittagspause eine halbe Stunde lang zu jonglieren. Mein Versprechen: Nach drei Tagen kann (fast) jeder mit drei Bällen jonglieren. Die Normalreaktion: Das geht nicht. Ich habe kein Ballgefühl. Ich bin unbegabt. Ich kann das nicht.

Ich lasse mich von diesen Einwänden nicht beeindrucken. Wir starten mit 1 Ball. Zwei Bewegungs-Grundmuster gibt es: das umgedrehte U und die liegende 8, also ∞ . Weich und rund sollte die liegende Acht in die Luft geformt werden. Wenn es nicht gleich gelingt oder der Ball herabfällt: kein Problem. Sich bücken und weitermachen. „Üben heißt, konsequent tun, was man nicht kann.“

Diese so leicht dahingesagte Bemerkung ist mehr als ein Kalauer. Was nützt es, immerfort das zu wiederholen, was man schon kann? Aber genau das kann ich beobachten: Anstatt sich den neuen Bewegungsmustern zu stellen, wird nur wiederholt, was schon gekonnt wird. Auch wenn es falsch ist, sinnlos oder gar schädlich fürs Weiterlernen.

Natürlich weiß ich, daß es leichter ist, sich stets selbst zu bestätigen mit dem, was man schon kann, als sich der Mühsal des Neuerwerbs zu widmen. Aber genau das geschieht doch auch im normalen Alltag. Wir verwenden viel mehr Zeit darauf, alte Verhaltensmuster zu wiederholen, als neue zu entdecken oder zu erproben. Damit schneiden wir uns von neuen Erfahrungen ab.

Was ist der Hintergrund dieses natürlichen Konservativismus? Bekanntes Verhalten gibt das Gefühl der Sicherheit. Dabei ist es erstaunlicherweise völlig egal, ob dieses Verhalten mit Freude oder mit Leid verbunden ist. Hauptsache Sicherheit. Das Neue, Unbekannte macht den meisten Menschen Angst. Also vermeiden sie es, ersetzen es durch bekannte Verhaltensmuster – und leiden weiter. Viel schöner wäre es, die Konsequenz zu ziehen, also das Verhalten zu ändern. Vielleicht führt das neue Verhalten nicht gleich zum Erfolg, aber es verstärkt zumindest nicht das Leiden, das man schon kennt.

Beim Jonglieren wird man als Übender genau damit konfrontiert. Man lernst es nur bzw. kommt nur dann weiter, wenn man die Angst vor dem Mißlingen aufgibt. Natürlich läßt sich einwenden: Das ist doch überall im Leben so. Richtig, aber das ist kein Gegenargument, sondern eine nette Bestätigung.

Das Jonglieren hat den Vorteil, daß es so harmlos und unaufwendig ist. Man braucht ein paar kleine Bälle, und schon kann es losgehen. Erst später wird deutlich, daß es sich um universelle Lernmuster handelt. Aber dann ist man schon mitten drin.

 

Mehr Gehirn durch Jonglieren

Außerdem gibt es einen netten Nebeneffekt: Bei den Sportwissenschaftlern ist es inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden, die Lernpsychologen brauchen wohl noch etwas und die Gehirnforscher werden neu nachdenken müssen: Jonglieren läßt das Gehirn wachsen. Um es kurz zu sagen: Jonglieren macht schlau. Wenn das kein Ansporn ist.

Mehr Infos dazu bei der Netzzeitung

Neu ist diese Erkenntnis eigentlich nicht. In der FAZ konnte man am 4.12.2001 in einer Rezension zum Buch von John Ratey „Das menschliche Gehirn“ lesen: „Zu den faszinierendsten Einsichten der jüngeren biologischen Forschung gehört, daß das menschliche Gehirn wesentlich dynamischer und regenerationsfreudiger ist, als man lange Zeit angenommen hatte. Erstaunlich erscheint inzwischen die Tatsache, daß es überhaupt ein Dogma gegeben hat, im erwachsenen Gehirn finde keine Neubildung von Nervenzellen mehr statt. Warum sollte ausgerechnet das komplizierteste Organ keine neuen Zellen bilden können?“ Den ganzen Artikel findet man im FAZ-Archiv.

Nebenbemerkung: Bis zu 35% der Alzheimererkrankungen könnten verhindert oder gelindert werden, wenn sich die Menschen mehr bewegt hätten in ihrem Leben. Die Pharmaindustrie gibt ca. 50% ihrer Budgets für die Suche nach Wirkstoffen gegen Alzheimer aus. Ließe sich das nicht irgendwie koppeln?

Mitte Mai 2010 lief eine Pressemeldung der Apotheken-Umschau durch die Medien, die genau diesen Aspekt aufgreift:

Hirn und Sport 
Baierbrunn (ots) – Denksportaufgaben, Kreuzworträtsel oder etwa Sudoku stehen in dem Ruf, das Hirn in Schwung zu halten, auch im Alter. Doch wer sich zu sehr auf solche Trainingsmethoden verlässt, wird zwar ein besserer Sudoku-Spieler oder löst Kreuzworträtsel schneller – auf andere Hirnleistungen aber haben diese Übungen verblüffend wenig Einfluss. Wer sein Hirn umfassend in Schwung halten will, sollte Joggen, Radfahren, Schwimmen – sich möglichst viel bewegen. „Sport ist die einzige Methode, welche die Gehirnleistung umfassend trainiert“, sagt Dr. Claudia Voelker-Rehage von der Jacobs-University Bremen in der „Apotheken Umschau“. Das hat die Sportwissenschaftlerin in ihrer Studie „Bewegtes Alter“ mit mehr als 90 Personen zwischen 65 und 75 Jahren herausgefunden. Ein Jahr lang trainierten die Teilnehmer dreimal die Woche eine Stunde lang. Sie zeigten danach deutlich verbesserte Leistungen bei geistigen Anforderungen. Aber auch bei ihnen gab es Unterschiede: Nordic Walker dachten schneller und genauer, Teilnehmer am Koordinationstraining nur genauer. Wer sich auf Dehnübungen beschränkte, gewann an geistiger Leistungsfähigkeit nicht dazu.
 

Die Konsequenz daraus: Bewegung und Gehirnentwicklung stehen in direktem Zusammenhang. Allerdings gehen die Impulse für die Gehirnentwicklung offenbar nicht vom Gehirn selbst aus. Vielmehr ist es eine Tätigkeit, die das Gehirn gar nicht ausführen kann und auch nicht mag: Bewegung. Es ist eingefaßt in die Höhle der Schädelknochen, sanft gelagert in die Gehirnflüssigkeit, die möglichst alle (Gehirn-)Erschütterungen abhalten soll. Umgekehrt funktioniert dieser Vorgang des Lernens aus dem Gegenteil auch: Beim mentalen Lernen stellen sich zum Beispiel Sportler komplexe Bewegungsabläufe vor und spielen sie in der Vorstellung intensiv durch. Danach fällt es ihnen leichter, diese Bewegungen zu meistern. Ist doch toll, oder?

Literaturhinweise zum Jonglieren und ein paar Videos mit erstaunlich guten Jongleuren findet man auch auf meiner Homepage zu den Seminaren.