Lange habe ich überlegt, ob ich dieses Kapitel überhaupt schreiben soll. Wenn etwas in Saudi-Arabien Anlass zu Vorurteilen, Urteilen und Bekehrungsbemühungen ist, dann ist es die holde Weiblichkeit.

Soll ich zum wiederholten Male schreiben, dass Saudi-Arabien das einzige Land auf der Welt ist, in denen Frauen das Führen eines Autos untersagt ist? 2011 hat eine Frau öffentlichkeitswirksam gegen das Verbot verstoßen und ihr Kind zur Schule gefahren. Zehn Peitschenhiebe waren das Urteil, das durch den weisen König Abdullah wieder aufgehoben wurde.

Was wie eine Frage der Emanzipation aussieht, ist aber eher eine Auseinandersetzung eines tendenziell konservativen Klerus gegen einen König und Teile seiner Regierung, die als gemäßigt bezeichnet werden können.

Die offizielle Begründung, warum Frauen nicht Autofahren dürfen, geht ungefähr so: Wenn eine Frau in einen Unfall verwickelt wäre, müsste sie sich vielleicht mit einem Mann herumärgern, der sie unziemlich behandelt – und das will man ihr nicht zumuten. Außerdem soll sich der Mann um seine Frau kümmern und muss es auch. Schließlich ist er ihr Vormund. Es ist ihr gutes Recht, von ihm zu verlangen, sie herumzufahren und für ihre Sicherheit zu sorgen. Noch Fragen, liebe Männer?

Im Alltag ist es als Singlemann, der ich ja als Alleinreisender in Saudi-Arabien bin, am besten, Frauen gar nicht genauer anzuschauen. Sie werden es als gute Muslima auch mir gegenüber nicht tun, denn ihnen ist es aufgegeben, sich den Männern gegenüber zwar höflich, aber nicht herzlich zu zeigen. Der Umgang mit Frauen findet in der eigenen Familie statt oder mit der Ehefrau. Trotz aller religiösen und ethischen Ansprüche an die Dauer von Ehen werden diese aber in über 50 Prozent der Fälle wieder geschieden. Eine durchaus mit dem Westen vergleichbare Zahl.

Wie in vielen Fällen in Saudi-Arabien gibt es auch in Sachen Frauen zwei Ebenen. Offiziell wird ein eher konservativer Islam gepflegt, der sich aus der Sonderstellung Saudi-Arabiens ableitet. Schließlich ist dessen König auch der Bewahrer und Herrscher über die beiden heiligsten Stätten des Islam, Mekka und Medina. Alle Moslems wenden sich bei ihrem Gebet dieser Stätte zu. Saudi-Arabien steht also ganz wörtlich unter ständiger Beobachtung. Darum will man auch Vorbild sein für alle Muslime in der Welt. Keine leichte Aufgabe angesichts der sehr unterschiedlichen Entwicklung der verschiedenen arabischen und moslemischen Staaten.

Der Alltag der Frauen ist höchst unterschiedlich. Der traditionelle Saudi wird seiner Frau klarmachen, dass sie sich um die häuslichen Belange zu kümmern habe. Heutzutage wird er nichts dagegen unternehmen, wenn sie studiert und sich bildet. Ob er sie deshalb aber auch unterstützt, einen Beruf zu ergreifen, ist etwas ganz anderes. Berufstätige Frauen sind in Saudi-Arabien jedenfalls keine Selbstverständlichkeit. Die großen (westlichen) Unternehmen stellen sehr gerne Frauen ein. Hat es sich doch gezeigt, dass sie meistens nicht nur gut ausgebildet sind, sondern auch den tendenziell behäbigen Männern in vielerlei Hinsichten überlegen sind. Überall auf der Welt sind Männer von dieser Art von Konkurrenz nicht begeistert. Oder etwa doch?

Im alltäglichen Leben ist manches viel entspannter. Ich habe darüber in meinem Beitrag über die Altstadt Balad geschrieben. Doch wir sollten uns nicht täuschen lassen: Unversehens kann es wieder ernst werden.

Zwei Beispiele:

An meinen Seminaren in Jeddah nehmen auch Frauen teil. Wie in Deutschland wird für die Teilnehmer ein Mittagessen im Hotel angeboten. Wie in Deutschland lade ich alle ein, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen. Schließlich ist der Erfahrungsaustausch ein wichtiger Anteil des Seminars, der sich beim Speisen besonders gut pflegen lässt. Vor vier Wochen passierte es, dass man mir von Seiten des Hotels nahe legte, die Frauen bitte sehr in der „family section“ essen zu lassen und nicht zusammen mit den Männern an einem Tisch. Wir haben sie dann so platziert, dass sie am anderen Ende des Tisches den anderen Besuchern des Restaurants nicht gleich ins Auge fielen.

Der Hintergrund dazu: Den Mitarbeitern des Hotels ist es völlig gleich, wo die Frauen essen. Aber saudische Gäste hatten sich über unsere gemischte Gruppe beschwert. Es sei in diesem Land nicht üblich, gemeinsam zu essen. Wegen der guten Sitten oder wer weiß warum.

Im letzten (gemischten) Seminar kamen am dritten Tag plötzlich zwei Hotelbedienstete und brachten eine mobile Trennwand in den Seminarraum. Sie würde benötigt, weil bei uns Frauen seien. Nach saudischem Recht müssten sie getrennt von den Männern sitzen. Ich schaute ziemlich verblüfft-ärgerlich. Wieso kommt man damit, nachdem wir zwei Tage offenbar sittsam hatten arbeiten können?

Auch hier ist die Erklärung wieder ganz einfach: Während unserer Pause hatten Beamte (Sittenpolizei?) die Räume inspiziert und die Gemischtbesetzung festgestellt. Daraufhin bekam das Hotel die strikte Anweisung, für die sittsame Durchführung zu sorgen. Das Hereinstellen dieser albernen Trennwand war der unbedingt zu realisierende Gehorsam. Hätte sich das Hotel geweigert, hätte man das Seminar zwangsbeendet.

Ein klärendes Gespräch zwischen den Verantwortlichen des Auftraggebers für das Seminar und des Hotels konnte zum Glück alle Probleme beseitigen. Vielleicht hätte man aber auch nur den offiziellen Weg gehen müssen: Wenn man vorher eine Genehmigung bei einem bestimmten Ministerium beantragt, dass man eine gemischte Gruppe in einem Raum gemeinsam unterrichten wolle, dann wird das völlig unkompliziert genehmigt. Man hat dann den guten Sitten genügt.

Die Teilnehmer sehen das Problem völlig anders. Sie könnten selbst dafür sorgen, dass die Frauen korrekt behandelt werden, sagten mir die Männer. Schließlich sei das alles nur eine Frage der Höflichkeit und der Erziehung.

Ich sehe das nicht anders. Aber ich habe die Meinung des Mannes nicht weiter kommentiert. Ist es doch eine durchaus aufgeklärte, vielleicht auch westliche Idee, dass Menschen ganz allein und für sich selbst Maßstäbe für korrektes Verhalten in sich tragen und verwirklichen können. Sie brauchen dazu keine Anleitung von außen und schon gar keine Kontrolle oder Vorschriften, keine Sittenpolizei und keine Aufpasser.

Die jungen Menschen in Saudi-Arabien sind offen, der Welt zugewandt, technikverliebt, traditionsbewusst, eigenständig, gebildet und sehr oft reiselustig. Sie kennen andere Länder und deren Sitten und träumen nicht selten davon, in Europa oder Kanada zu arbeiten.

Wenn Saudi-Arabien diese Generation nicht verlieren will, wird es über eine gewisse Öffnung nachdenken müssen. König Abdullah scheint das zu wissen und umzusetzen. Sicherlich nicht zufällig hat er letztes Jahr in Riyadh die größte Universität für Frauen eröffnet und Universitäten an der Westküste gegründet, die koedukativ ausbilden.

Und nicht zuletzt sind es die Frauen selbst, die in kleinen, aber stetigen Schritten die gesellschaftlichen Grenzen ausloten und erweitern. Nicht nur zur Freude der Männer, die es sich mit ihrer Dominanz ziemlich bequem eingerichtet haben.