Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist tief im Grundgesetz verankert. In einer Demokratie wird es als Wert verstanden, dass die Bürger mitreden, mitdenken und ihre Meinungen auch öffentlich sagen. Ob mir selbst es passt oder nicht, was ich dann zu hören oder zu lesen bekomme, spielt keine Rolle. Etwas zu sagen ist erlaubt. Aber es gibt Grenzen.

Dummheit ist keine Grenze, Klugheit ist keine Voraussetzung für Meinungsäußerung. Wer obskure Theorien über afrikanische und europäische Menschen erfindet und sie bei offiziellen Gelegenheiten zum Besten gibt, ist genauso geschützt wie ein Mathematiker, der eine Gleichung beweist, die nur eine Handvoll Menschen auf der Welt versteht. Sagen kann man fast alles. Selbst Kritisches über die Demokratie, die diese Freiheit gewährt.

In Diktaturen ist das anders. Ob China, Türkei, Nordkorea, Russland oder in welcher Diktatur auch immer ist es lebensgefährlich, eine eigene Meinung zu haben. Oder umgekehrt: Alle Gemeinschaften, die die freie Meinungsäußerung nicht dulden, sind Diktaturen.

So weit so gut oder schlecht. In Deutschland erleben wir aber gerade etwas, was uns aufhorchen lassen sollte. Eine nicht unerhebliche Gruppe von Menschen hat die Überzeugung, dass ihre eigenen Ansichten die einzigen sein sollten, die gelten. Und zwar für alle. Wer ihnen nicht beipflichtet, wird sofort gebrandmarkt. Erst einmal nur mit Worten.

Das Problem: Dabei bleibt es nicht. Ein Beispiel gefällig?

2015 war das Jahr der Flüchtlinge. Auch für Deutschland, deutsche Bürger und deutsche Verwaltungen bedeutete das, über viele Fragen neu oder anders nachzudenken. Zum Beispiel: Dürfen diese Menschen bei uns Einlass finden, wo sollen sie wohnen und stört das am Ende vielleicht doch meine Identifikation mit deutscher Kultur, was immer das genau ist?

Dazu darf man unterschiedlicher Meinung sein, das ist völlig in Ordnung. Aber diese besagten Gruppierungen merkten, dass ihre ablehnende Haltung und ihre damit verbundenen Ängste nicht den Widerhall fanden, den sie sich gewünscht hatten. Also begannen sie, ihren Worten handfeste Taten folgen zu lassen. Ganz nach dem Motto: Wer nicht tut, was wir wollen, dem werden wir es zeigen. Damit war der Übertritt zur Straftat vollzogen. Sachbeschädigung, zum Beispiel das Anzünden von Wohnheimen oder für Flüchtlinge vorbereiteten Wohnraum, war der Anfang. Am Ende spielten Menschenleben aber auch keine Rolle mehr.

Dieses Vorgehen nennt man Selbstjustiz. Geboren aus einer Selbstgerechtigkeit, die nur noch die eigene Meinung kennt. Das ist das krasse Gegenteil der freien Meinungsäußerung.

Selbstjustiz wird in Deutschland nicht toleriert. Mit Recht. Als vor einiger Zeit Hells Angels und Bandidos im Ruhrgebiet den Politikern sagten, sie mögen sich bitte aus ihren Streitigkeiten heraushalten, man würde das unter sich klären, griff der Rechtstaat genau deshalb zu. Selbstjustiz wird nicht geduldet. Parallele Rechtsordnungen sind in einer Demokratie ausgeschlossen, unter welchem Namen sie auch immer auftreten.

Selbstjustiz ist ein Schritt in Richtung Diktatur, getragen von Willkür und Machtdemonstration. Sie soll all denen Angst machen, die anderer Meinung sind.

An dieser Stelle muss man sehr deutlich sagen: Stopp! Wir lassen uns durch Drohungen nicht Angst machen. Selbstjustiz ist keine Meinungsäußerung mehr.

Selbstjustiz ist eine Straftat, so wie das Strafgesetzbuch die Grenze der Meinungsfreiheit definiert. Diese Grenzen sind ziemlich weit gesteckt.

Selbstjustiz spielt in unserem Alltag schnell eine Rolle, zum Beispiel wenn man so etwas sagt wie: „Wenn du nicht tust, was ich will, haue ich dir eine rein.“ Ob das am Ende klappt, ist eine andere Frage. Das Ansinnen ist das Problem.

Wir sollten sehr wach sein, wenn wir bemerken, dass Lust auf Selbstjustiz entsteht.