Ein Vergnügen war es nicht. Auf dem Gothaer Neumarkt feierte sich die AfD mit dem, was sie Sommerfest nannte. Ihnen gegenüber die Gegendemonstranten. „Gotha ist bunt“. Akkurat auf Distanz gehalten, keine Übergriffe weder von der einen noch von der anderen Seite. Alles bestens?
Ich stand beim Sommerfest. Meine steinerne Miene fiel auf bei der Begeisterung, die die AfD-Anhänger offen zeigten. Man sprach mich an, aber auf eine ernsthafte Diskussion hatte ich keine Lust. Mit AfD-Getreuen kann man nicht diskutieren. Sie wissen schon alles – alles in ihrer Blase.
Doch beginnen wir bei den Äußerlichkeiten. Der ganze Neumarkt stünde voller Menschen, sagt der Höcke von der Bühne. Nein, die Fakten sprechen dagegen, die Beweisbilder liegen vor. Aber warum sagt er das? Man hätte sich bloß umwenden müssen, um zu sehen, dass er lügt – oder zumindest schamlos übertreibt. Er will es so. Er schustert sich die Wirklichkeit zu dem, was er gerne hätte. Und seine Huldiger nehmen ihm das nicht übel, mucken nicht auf, rufen nicht: „Lügner!“
Nächstes Beispiel: Die von ihm so gescholtenen Altparteien würden den Menschen immer nur Angst machen. Doch kaum hat er den Generalvorwurf ausgesprochen, ist er der erste, der wirklich mit der Panikmache spielt. Natürlich sind es die „bösen“ Ausländer, die Migranten, die dem braven deutschen Bürger selbstverständlich nur nach dem Leben und der Geldbörse trachten. Dann findet er rasch zu Wirtschaftspolitik, Atomkraft, die er für ganz prima hält, und das russische Erdgas, das so billig sei, dass man es wieder kaufen müsse. Überhaupt Russland: Haben wir mit Putin irgendein Problem? Höcke hat keines. Aber nach seinen Worten liege die deutsche Wirtschaft am Boden – und seine Partei könne das alles wieder wenden. Doch die Fakten sprechen anders: Die freie Wirtschaft findet eine AfD in Regierungsverantwortung gar nicht gut und würde dann lieber das Land verlassen.
Die Corona-Pandemie war, so Höcke, natürlich nur eine geplante, ganz miese Aktion der „bösen“ Regierung. Und der natürlich ebenso „bösen“ Medien, allen voran der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der auch wieder nur staatsgelenkt sei. Höcke und seine Gesinnungsgenossen sehen sich umzingelt von anderen Parteien, Geheimdiensten, Verleumdern, Missverstehern – und sind immer wieder erstaunt, dass es Menschen gibt, die einen völlig anderen Blick auf die AfD haben. Die sehen nämlich, dass deren menschenverachtenden Ziele, deren Verlogenheit und Doppelmoral unerträglich sind.
Die AfD-Anhänger schwenken Friedensfahnen auf dem Gothaer Neumarkt und finden es normal, der Ukraine die Unterstützung zu entziehen und sie damit Putin zur Vernichtung vor die Füße zu werfen. Von den langfristigen Folgen für Europa eines tollkühn gewordenen russischen Diktators schweigen sie natürlich. Sie wollen Atomkraft und haben keine Antwort darauf, wohin der Atommüll entsorgt werden könnte. Sie schwadronieren von Corona-Plänen und haben keine Antwort, warum weltweit Millionen von Menschen an dieser angeblich harmlosen Krankheit gestorben sind. Sie wollen wieder fossil betriebene Energieerzeugung und sagen nicht, wie sie den menschengemachten Klimawandel aufhalten können. Doch: Den gebe es gar nicht, alles nur eine Erfindung der Medien.
Indirekt wird bei der Rede vom Höcke deutlich, dass die AfD sich über manches richtig ärgert, was über sie recherchiert wurde. Das Potsdamer Treffen zum Beispiel, bei dem die AfD einhellig mit bekennenden Nazis zusammenarbeitete, wäre gerne unentdeckt geblieben. Höcke spricht es an – um alles sogleich abzustreiten. Nur Missverständnisse und Übelwollen. Na klar, du Fake-News-Streuer. Überhaupt fühlt er sich von allen Seiten verfolgt. Und immer wieder missverstanden. Dabei ist besonders er es, der immer wieder die Grenzen des Sagbaren auszuweiten versucht. Mit schlechten Kalauern und einer aufgesetzten Spaßigkeit belustigt und befriedigt er seine Anhänger auf dem Neumarkt. Nach dem Auftritt werden Autogramme gegeben und Selfies fotografiert – typisch mittelmäßiger Popstar. Zumindest wäre er gerne einer. Seinen Parteigenossen Chrupalla, habe ich dabei dokumentiert.
Konstruktive Vorschläge? Fehlanzeige. Klare neue Ideen? Nicht eine. Quengeln, sich als Opfer fühlen, alle anderen der Unfähigkeit zeihen, zuspitzen und verdrehen, Ängste schüren. Das sind die rhetorischen Mittel, die von allen AfD-Rednern genutzt werden.
Die Spitze der Verdrehung: Der Höcke spielt sich als Super-Demokrat auf, der die Meinungsfreiheit verteidigen würde. Aber Meinungen, die der seinen widersprechen, will er auch nicht hören. Und solche, die ihn oder seine Partei kritisieren, erst recht nicht. Na ja, das Prinzip der Doppelmoral kennen wir inzwischen.
Am 1. September 2024 wählt Thüringen einen neuen Landtag. Ich muss gestehen, dass ich ängstlich bin. Die AfD ist immer noch bei knapp 30 Prozent, sagen die Prognosen. Und das Bündnis der Putinversteherin Sarah Wagenknecht (die ich deshalb nur Putinknecht nenne), hat auch überraschenden Zulauf.
Warum schaffen es die demokratischen Parteien nicht viel deutlicher, wirklich und wahrhaftig attraktiv zu sein?