Sie hätte erzählen können, wenn sie es denn gewollt hätte. Jeder weiß, dass sie es weiß. Die allermeisten erwarteten, dass sie irgendwann ihr Schweigen bricht. Ja, auch wohl mit der Folge, dass sie sich belastet hätte. Aber sie hat nichts gesagt, wendet sich ab vom Fotografen, wenn er sie auflauert, sucht Schutz hinter ihren Verteidigern. Beate Zschäpe hätte reden können. Wie andere auch.
Als der NSU-Ausschuss in Thüringen einige Verfassungsschützer und ihren ehemaligen Chef einlädt, Aussagen über die damaligen Ermittlungsvorgänge zu machen, über ihre Rolle, ihr Vorgehen, ihre Absichten, da schweigen sie. Oder schlimmer, sie sagen, sie könnten sich nicht erinnern. Jeder weiß: Das ist eine Lüge. Sie hätten reden können, aber sie wollten nicht. Sie wollten sich schützen, fragen wir uns?
Ein SPD-Politiker bestellt sich über das Internet Fotos und Filme von nackten kleinen Jungen. Als ob es das Normalste von der Welt ist, sich fremde kleine Jungs anzuschauen, die man gar nicht kennt. Wahrscheinlich sind die Filme – ich kenne so etwas nicht – amateurhaft gemacht. Keine bewusste Kameraführung, keine Arbeit mit dem Licht, den Schatten, der Kamerabewegung, dem Schnitt. Sebastian Edathy hat diese Filme angeschaut. Er hätte sagen können, warum er das tut. Aber er sagt es nicht.
Uli Hoeness hätte sprechen könne, wenn er es gewollt hätte. Er hat es nicht getan. In den vier Tagen seines Prozesses hat er nicht dementiert, ungefähr 28 Millionen Euro Steuern hinterzogen zu haben, auch wenn er einige Wochen zuvor noch von weit geringeren Summen gesprochen hatte. Aber dass dies 28 Millionen die ganze Wahrheit sind, davon wollen wir nicht überzeugt sein. Wir spüren ganz deutlich: Da ist noch mehr. Aber wir wissen es nicht.
Wir stehen ohnmächtig vor den Menschen, die erzählen könnten, die sich hätten beteiligen können an der Aufklärung von Verbrechen, von Schandtaten, von Niedrigkeiten. Aber sie sagen nichts.
Schweigen scheint die neue Masche zu sein. Man wettet vielmehr darauf, dass die ganze Geschichte nicht wird ans Licht kommen können. Ein solches Versteckspiel wollen gelegentlich Menschen verhindern. Richter Manfred Götzl in München ist so einer. Er will aufklären, was andere verschweigen: Beate Zschäpe und viele der Zeugen. Sie alle könnten sagen, was war – aber sie tun es nicht.
Warum? – Warum??
Menschen, die sich vorsätzlich der Erinnerung und der Sprechens über Erinnertes verweigern, stellen sich gegen die Gemeinschaft der Kommunizierenden. Zugleich beweisen sie eine Grundtatsache der Kommunikation: Ich kann niemanden zwingen, eine Antwort zu geben – schon gar nicht die, die ich mir wünsche.
Natürlich habe ich in Gedanken längst die Folterknechte herbeigerufen, um die prominenten Schweiger zu brechen, sie zum Offenlegen ihres Wissens zu zwingen. Aber die Geschichte hat immer wieder bewiesen: Unter Folter und Angst kommt die Wahrheit auch nicht ans Licht. Da geben im Regelfall die geschundenen Menschen alles zu, was man ihnen andichten will, nur um den Qualen zu entgehen.
Kommunikation ist eine Freiheitstat. Kommunikation ist der ständige Beweis dafür, dass alles immer ganz offen ist – jedenfalls prinzipiell.
Niemand kann mich zwingen, etwas ganz Bestimmtes zu sagen. Ich muss nur stark und beständig sein, um diese Freiheit zu praktizieren.
Ja ich weiß, das ist nicht immer klug. Nicht jeder kann mit den Antworten leben, die man ihm daraufhin gibt. Aber das ist ein anderes Blatt.
Vielleicht sollte ich Menschen wie Zschäpe, Edathy, Hoeness und wie die Stummen alle heißen, von Herzen bitten, ihr Schweigen zu beenden.
7+3 – Lektionen über Gemeinschaftstat. Über Kommunikation und ihre Verwandten spreche ich vom 2. Bis 16. April in der Galerie Eigenheim in Weimar. Die erste Lektion findet am Eröffnungstag der Ausstellung, dem 2. April, um 19 Uhr statt. Der Eintritt ist wie auch an allen anderen Tagen frei.
Mehr über die „Galerie Eigenheim“ in Weimar, Karl-Liebknecht-Straße 10, und die Ausstellung findet man im Internet unter www.galerie-eigenheim.de.