Mein Freund Mohammed ist immer für eine Überraschung gut. Wir kennen uns seit einigen Jahren. Wenn ich in Jeddah bin, rufe ich ihn an und frage ihn, ob er Zeit für ein Treffen hat. Dann darf ich an seinem Alltag nach der Arbeit teilnehmen – eine Kostbarkeit, die ich sehr zu schätzen weiß. Werden mir doch dabei Eindrücke ermöglicht, die ich als Geschäftsreisender und Hotelbewohner nicht hätte haben können.
Mohammed führt mich in Gegenden von Jeddah, in die ich sonst nicht kommen würde. Erstens, weil ich gar nicht wüsste, dass sie existieren; und zweitens, weil ich dort eigentlich nichts zu besorgen hätte. Aber Mohammed schon. Er hatte seinem Onkel versprochen, nach einem bestimmten Ersatzteil für dessen Auto zu suchen.
Wir fuhren von meinem Hotel Richtung Flughafen, bogen an der vornehmen und architektonisch reizvollen Mall of Arabia nach rechts ab und kamen schon nach wenigen hundert Metern in eine Gegend, die wir vielleicht Industriegebiet nennen würden. Doch nicht Großbetriebe siedeln sich hier an, sondern eine nicht zu überblickende Anzahl von Kleinbetrieben, die alle irgendetwas mit Metall machen: Geländer, Handläufe, Schweißarbeiten aller Art und was weiß ich sonst noch alles. Einer eng neben dem anderen, alle irgendwie ähnlich und doch höchst eigenwillig.
Wenn man sie passiert hat und die Straßen etwas weniger komfortabel werden, mehren sich die ersten Anzeichen für jenes Gewerbe, weswegen wir hierher gefahren sind. Am Straßenrand stehen Autos, die wahrlich schon sehr viel bessere Zeiten gesehen haben. Verstaubt, verbeult, verschlissen, demoliert. Doch was hier nur vereinzelt herumsteht, beginnt sich schon bald zu häufen.
Am südlichen Ende des Flughafens haben sich die Schrotthändler breitgemacht. Während also linkerhand der Sperrzaun zum Hightechbereich steht, sitzen auf der anderen Seite lässig die Schrottverkäufer. Aus allerlei alten Autositzen und Metallgestängen haben sie sich ihre Sitzgelegenheiten und Unterstände gebaut, in denen sie sich lässig lümmeln. Es ist warm tagsüber in Jeddah, im Schatten mindestens 35 Grad, dazu oft ein milder Wind, der sich anfühlt, als würde man neben einem Föhn stehen. Die Luftfeuchtigkeit ist spürbar hoch. Ein Sonnenschutz ist empfehlenswert.
Viel Geschäft scheinen sie nicht zu haben, doch reicht es offenbar zum Leben. Einige Händler haben auf dem Gelände hinter sich säuberlich riesige Regale gebaut, in denen sie ihre Teile geordnet haben. Manche Lagerstätten sind sogar überdacht. Andere Händler haben die Unfallautos einfach neben- und aufeinander gestapelt. Dann kann sich jeder Kunde selbst herausschrauben, was ihm gefällt.
Mohammed sucht jemand ganz Bestimmtes. Fragt hier, dann beim nächsten Händler. Schließlich erfährt er, dass der Gesuchte gar nicht da ist, sondern irgendwo anders in Jeddah. Kein Problem, dann fahren wir halt dorthin. Der einzige wirklich ernst zu nehmende Preis ist ja die Zeit, nicht das Benzin. Über das denkt hier niemand nach. Einmal Volltanken kosten ungefähr 4,50 Euro.
Tags darauf haben wir das Teil zu Post gebracht, oder jedenfalls zu einer Versandstation, die unserer Paketpost entsprechen könnte. Hinter einem schweren Schiebetor stapeln sich in einem Innenhof unübersehbar viele Kartons. Männer eilen hinein und hinaus und auf dem Hof, meist eines der kleinen, mittleren oder riesigen Pakete auf der Schulter. Es scheint eine Ordnung zu geben. Mohammed jedenfalls vertraut dieser Einrichtung. Ich sehe einen der Männer mit seinem Päckchen im Arm in einem Seitengebäude verschwinden. Mohammed hat keinerlei Bedenken, dass die Sendung bestimmungsgemäß in Riyadh ankommen wird. Mein deutscher Ordnungssinn würde der saudischen Unübersichtlichkeit wahrscheinlich weniger trauen. Doch das ist pure Ignoranz.
Offenbar gibt es Ordnungssysteme, die ganz anders sind als die deutschen und trotzdem funktionieren. Erstaunlich?