War sie denkwürdig, die Rede, die die Vorsitzende des Deutschen Journalisten Verbands Thüringen in Weimar gehalten hat anlässlich der Eröffnung des DJV-Bundesverbandstags 2014? Ja, es ist würdig, über die Ideen von Anita Grasse nachzudenken und vorzudenken und überhaupt mal etwas mehr zu denken als nur darüber, warum das Leben immer schlechter, schlimmer und scheußlicher wird. Auch für Journalisten natürlich, die sich durch die nicht mehr aufzuhaltende Digitalisierung – die ja nun schon ungefähr fünfundzwanzig Jahre lang läuft – in ihren berufsethischen Grundfesten erschüttert fühlen. Doch was ist zu tun?
Die elektronischen Medien haben das Arbeitsfeld des Journalisten tüchtig umgekrempelt. Waren Schreibhilfen wie die schöne alte klassische Schreibmaschine nur ein „Tool“, wie es neudeutsch heißt, um zügiger ein Manuskript abzuliefern, das folglich kein Manus-skript mehr war, so wurde es mit dem Computer ziemlich anders. Waren selbst die elektrische Schreibmaschine oder der Composer mit Proportionalschrift solistische Arbeitsgeräte, so strebte der Computer ziemlich schnell nach Vernetzung mit anderen Computern. Zugegeben Btx war Mitte der achtziger Jahre noch kein Internet, aber man konnte sich Informationen besorgen, Geld überweisen und mit anderen Netzteilnehmern kommunizieren.
Und wir Journalisten? Wir saßen im Westen ganz entspannt und machten weiter wie immer – und im Osten hinter der Mauer gingen die Uhren noch ganz anders. Dort kostete ein recht schlichter Computer – wenn man ihn denn überhaupt hätte kaufen können – mehr als zwei durchschnittliche Jahresgehälter.
Wir lernten, wie Anita Grasse es beschreibt, unser Handwerk und konnten schreiben, fotografieren, recherchieren oder was sonst noch so zum Zeitungsmachen gehörte. Einige machten Rundfunk, andere Fernsehen und alles war mehr oder weniger getrennt voneinander.
Mit dem Internet wurde die Nachricht endgültig zur Ware. Die Grenzen zwischen den Medien zerbröselten. Wir Journalisten mussten nicht mehr nur neugierig sein auf unsere Inhalte, sondern auf unser Medium. Doch das war alles andere denn einheitlich. Munter wurde alles gemischt: Text mit eingebettetem Video. Bildergalerien mit Links zu früheren Texten. Eine Audiodatei machte hörbar, was im Text verhandelt wurde. Alles wurde verlinkt, verbunden und ergänzt. Leser schrieben schnell mal einen Kommentar oder eine flapsige Bemerkung. Portale sammelten mehr oder weniger automatisiert alle diese Informationen, ergänzten, fassten zusammen oder stellten nebeneinander, was sonst ziemlich verstreut war. Ländergrenzen spielten keine Rolle.
Und was machten viele Journalisten? Ja, sie warteten auf bessere Zeiten, wo alle diesen bösen Entwicklungen zurückgenommen werden und die Welt wieder einfach und linear wird. Doch diese Illusion führt gradlinig in den wirtschaftlichen Ruin.
Was können wir also jetzt tun?
Vernetzung ist nur dann ein Zauberwort, wenn man etwas vom Fischen versteht. Nicht mit jedem Netz kann man nämlich jeden Fisch fangen. Und ohne einen Fischer ist ein Netz nicht mehr wert als kein Netz.
Netzwerken alleine ist noch kein Allheilmittel. Es ist ein „Tool“ wie eine Schreibmaschine: inhaltsleer. Auch mit dem teuersten Füllfederhalter schreibt man nicht automatisch einen Weltbestseller. Aber wenn man nicht anfängt und es ausprobiert, passiert garantiert nichts.
Netzwerke sind flüchtig. Das ist nicht schlimm, denn von ihrer Volatilität hängt sehr viel ab: die Chance nämlich, dass es irgendwann einmal funkt zwischen den Beteiligten. Wer die kritische Anzahl an Kontakten unterschreitet, wird meistens schnell zur Seite geschoben und fällt durchs Netz. Ein wenig zählt das Gesetz der großen Zahl. Das ist anstrengend, will organisiert sein und lässt sich aufgrund der Beschränkung des Tages auf lächerliche 24 Stunden auch nur begrenzt durchführen. Aber auch da zählt das Bemühen.
Netzwerker brauchen eine gemeinsame Idee, ein gemeinsames Anliegen, ein Projekt, das sie anfasst. Das wird oft nicht entstehen – was nicht schlimm ist, sondern normal. Man lernt sich etwas kennen, merkt schnell, ob man sich mag oder nicht, der andere zu ähnlich oder zu fremd ist, ob er ins eigene Lebensmuster passt oder auch nicht. Oder jetzt gerade nicht, aber vielleicht später mal.
Netzwerke leben von Unterschieden. Zu viele Menschen, die sich zu ähnlich sind, langweilen einander. Langeweile ist keine gute Basis für ein Netzwerk. Aber andere Menschen zu ertragen, die ganz anders sind als ich selbst, ist anstrengend.
Im Profifußball hat man das in Bezug auf Nachwuchsarbeit erkannt: Entwickele einen begabten jungen Sportler zu einem Superegoisten und zeige ihm dann, wie er sich in eine Gruppe einfügt. Aber zuerst soll er Charakterstärke und Eigenwillen ausbilden. Spannend, oder?
Für uns netzwerkenden Journalisten bedeutet das: Finde heraus, was dich anfasst, begeistert, euphorisiert, woran dein Herz hängt, was dir Spaß macht, wo du nicht die Stunden zählst. Werde so gut wie nur möglich, werde einseitig oder vielseitig, aber das konsequent. Und dann gehe ans Netzwerken, lerne zuzuhören, wahrzunehmen, zu lauschen und flexibel zu reagieren. Sich durchzusetzen ist etwas ganz anderes, als etwas durchzusetzen – und darum sollte es gehen: Gemeinsam etwas zu erledigen, was alleine meine Kräfte übersteigen würde.
Netzwerken ist das Paradebeispiel für ein ehrgeiziges Zusammenleben: Charakterköpfe tun sich zusammen, weil sie das Fremde des anderen als Ergänzung erleben und nicht als Infragestellung der eigenen Person. Das konfrontiert uns manchmal mit unseren Ängsten – und viel öfter mit unserem verborgenen Genie. Das allerdings muss man mögen und auch aushalten. Das geht nicht immer, aber immer wieder. Versuchen wir es doch einfach häufiger.
Die ganze Rede von Anita Grasse findet man in ihrem Blogbeitrag auf www.curcuma-medien.de .