Als ich 2005 zum ersten Mal nach Riyadh zum Seminar flog, hatte ich mich so sorgfältig wie möglich vorbereitet. Auf den Internetseiten des deutschen Auswärtigen Amtes hatte ich über die richtigen Verhaltensweisen in dem mir so unbekannten Saudi-Arabien gelesen. Zum Beispiel erfuhr ich, dass ich niemals alleine in die Stadt gehen solle, sondern nur mit arabischer Begleitung. Und wie soll ich das bewerkstelligen, wenn ich dort niemanden kenne? Werde ich also nur im Hotel bleiben können? Da es keinen Reiseführer für Saudi-Arabien gibt, blieben mir nur der Mut und die Hoffnung, doch noch eine Lösung zu finden.

Wie groß war meine Überraschung, als ich in Riyadh mit dem für die Seminare der Firma Siemens Verantwortlichen sprach. Ich erzählte ihm von dem amtlichen Ratschlag – und er lachte mir so herzhaft ins Gesicht, dass ich schlagartig den Glauben an Amtliches verlor. Doch doch, meinte er, ich könne ganz beruhigt alleine losziehen. Ich sollte nur die Kosten für das Taxi kennen, damit ich nicht zu viel bezahle. Obwohl nämlich der Taxameter manchmal eingeschaltet wird, zahlt niemand den Betrag, der dort angezeigt wird. Entweder kennt man den üblichen Preis oder muss verhandeln.

Diese kleine Episode ist symptomatisch für unser Wissen über Saudi-Arabien. Eigentlich wissen wir nämlich gar nichts: außer ganz viele Vorurteile. Befördert wird dieses Nichtwissen von der Tatsache, dass Touristen im Prinzip kein Visum für dieses Land bekommen. Entweder erhält man eine geschäftliche Einladung oder man ist muslimischer Pilger. Schade eigentlich, denn Saudi-Arabien ist ein liebenswertes Land mit herzlichen Menschen.

Aber dort gibt es die Sittenpolizei und Frauen dürfen kein Auto fahren. Ja, das stimmt. Aber bei uns dürfen Priester nicht heiraten und vergewaltigen kleine Jungs.

Also: Ja, Saudi-Arabien ist ziemlich anders als Deutschland. Aber man lernt ein Land nicht dadurch kennen und verstehen, dass man über Einzelheiten spricht. Das gilt für alle Länder dieser Erde.

Meine Methode ist anders. Ich gehe, wenn ich in einem fremden Land bin, einfach los. Ich versuche, so viel und so intensiv zu spüren, wie die Menschen miteinander umgehen, wie sie mich behandeln, was sie mir sagen. Ich mache den Alltag mit und kein touristisches Programm. Wenn ich meine arabischen Freunde besuche und sie fragen: „Was sollen wir unternehmen?“ antworte ich: „Bitte macht alles genau so, wie ihr es ohne mich auch tun würdet. Also einkaufen gehen, durch Geschäfte bummeln, plaudern, Freunde besuchen.“ Im Alltäglichen erlebe ich Land und Leute, nicht in den Sonderveranstaltungen.

Was ist das Ergebnis? Ich kenne in Saudi-Arabien Riyadh und noch sehr viel besser Jeddah. Ich war in Al Khobar an der Ostküste und bin mit einem Freund ein wenig ins Landesinnere, also in die Wüste gefahren. Ich habe Freunde und ihre Familien kennengelernt. Ich war Gast bei Hochzeiten, bei geselligen Zusammenkünften und bei Freundestreffen. Natürlich habe ich auch meine Arbeit gemacht, also Seminare gehalten, wohnte in Hotels, bin Taxi gefahren und einkaufen gegangen oder einfach nur so durch die Stadt gebummelt. Oft habe ich mich auf einen Platz gesetzt und den Menschen bei ihrem alltäglichen Tun zugeschaut. Es ist nicht viel anders als bei uns: Kinder tollen herum, fahren Fahrrad und spielen Fußball. Väter sind manchmal streng, aber meistens nicht. Die Mütter haben die Familie im Griff und kaufen gerne schicke Kleider, auch wenn diese nicht in der Öffentlichkeit getragen werden.

Ich akzeptiere dieses Land, so wie ich erwarte, dass Besucher in Deutschland unser Land akzeptieren. Damit bin ich sehr gut zurechtgekommen.

Wenn mir heute Menschen erzählen, wie schlimm und böse Saudi-Arabien ist und dass es nur eine Monarchie und keine Demokratie sei, denn werde ich ungehalten. Woher habt ihr euer Wissen? Aus dem Fernsehen, der Nachrichtensendung? Aus den Zeitungen? Aus Büchern? Wisst ihr eigentlich, dass ihr die gleichen Unkenntnisse habt wie ich, bevor ich zum ersten Mal dort hinfuhr? Warum seid ihr nicht neugierig auf Geschichten, die wirklich erlebt wurden? Ach, sie bestätigen nicht eure Vorurteile? Na gut, dann träumt weiter.

Hinter diesen Episoden in und um Saudi-Arabien steht mehr als nur persönlich Erlebtes. Es ist die drängende Frage, wie ich mit dem umgehe, was mir fremd und unvertraut ist, was ich nicht verstehe und das mich deshalb meistens ängstigt. Kann ich es ertragen, akzeptieren, lieben – ohne deshalb meine eigenen Überzeugungen und Werte aufzukündigen? Ich meine: Ja, das geht sehr gut, ist aber nicht leicht. Man muss es immer wieder üben.

 

Kleiner Nachtrag, der der Anlass für meine Überlegungen war:

In der FAZ vom 9. März 2013 war unter der Überschrift „In der Wüste gewinnen immer die Chinesen“ eine Besprechung des Buches „Ein Hologramm für den König“ von Dave Eggers zu lesen. Die Rezensentin Verena Lueken war nicht ganz glücklich mit diesem Roman, der natürlich in Saudi-Arabien spielt. Das Problem: Der Autor war offenbar niemals in Jeddah, wo er seine Hauptfigur agieren lässt.

Beispiel 1: Aus der Rezension: „Meistens war er dabei betrunken, was in Saudi-Arabien nicht so ganz einfach ist.“ STOP! Nirgendwo kann man in Saudi-Arabien legal Alkohol kaufen. Er ist total verboten. Wer es trotzdem schafft, muss umgerechnet etwa 200 Euro für eine Flasche Whisky bezahlen und geht ein hohes Risiko ein, erwischt zu werden. Alkoholisierte Menschen in der Öffentlichkeit gibt es nicht – was ich übrigens ganz prima finde. Noch Fragen?

Beispiel 2: Aus der Rezension: „Wenn auf dem Weg dorthin im Basar der winzigen Altstadt von Dschidda auch noch der Vater …“ Hallo, winzige Altstadt? Ich schätze, dass man mindestens drei bis vier Stunden zu Fuß braucht, um die Altstadt zu umrunden. Von den vielen Basaren hat man dabei noch kaum etwas gesehen.

Warum schreibt jemand solch einen Unsinn? Fühlt man sich stark, will man mit etwas angeben, was man als exotisch erlebt? Meine Antwort: Eggers ist einfach nur dumm. Schade, so etwas sage ich eigentlich nicht gerne über Autoren. Und Frau Lueken folgt ihm brav.

Ich werde das Buch von Eggers nicht lesen. Ich bin schon von der Rezension bedient.