Einfache Lösungen für komplexe Probleme wurden früher am Stammtisch gefunden. Und da blieben sie auch. Man erregte sich gemeinsam, trank zwei oder mehr Bier, erregte sich nochmals. Dann ging man nach Hause und schlief den Rausch aus bis zur nächsten einfachen Lösung für komplexe Probleme. Heute ist es beliebter, die einfachen Lösungen irgendwo zu posten, auf Facebook zu liken oder wo auch immer. Doch was ist das Problem dabei?
In Zeiten der Irritation haben es Ideologen und Ideologien besonders leicht. Sie propagieren einfache Lösungen für komplexe Probleme, verschweigen aber, dass es komplexe Probleme sind. Woran erkennt man Ideologien?
Nun ja, als ersten an der einfachen Lösung. Dazu gehört im Regelfall ein Schuldiger. Dabei ist es völlig egal, wo dieser Schuldige herkommt, ob man ihn kennt, ob es ihn überhaupt gibt, was er denkt. Je allgemeiner, desto besser. Fangen wir doch mal mit ein paar beliebten Schuldigen an: Die USA sind äußerst beliebt. Danach kommen zurzeit sofort die Flüchtlinge. Früher hießen sie die Juden. Aber es gehen auch die Kurden, wenn man in der Türkei wohnt, oder die Basken, wenn man in Spanien lebt. Dann haben wir noch die Linken, die Rechten, die Neoliberalisten, die Euro-Feinde, die Euro-Befürworter. Wen habe ich noch vergessen? Ach ja, den IS. Und die Christen – jedenfalls vor einiger Zeit in Irland, also die Katholiken und die Protestanten. Bitte die Moslems nicht vergessen, wir wollen keinen benachteiligen.
Wenn man schon nicht ganze Volks- und Gesinnungsgruppen als Schuldige benennen kann, dann wenigstens einzelne Personen. Frau Merkel? Die ist leider nicht ausfallend genug. Aber Seehofer passt schon. In einer größeren Dimension hätten wir als erstes Putin. Dass er lügt wie viele andere, gehört zum Image. Kim Jong Un wäre ein prima Schuldiger, ist aber leider zu abgeschottet. Deshalb erzählt er immer wieder politische Märchen und bedroht die USA – siehe oben. Dann hätten wir noch Assad oder Erdogan oder Fritz Müller oder Lieschen Lehmann. Namen spielen keine Rolle, Hauptsache schuldig.
Alle Ideologen kennen ihren Schuldigen. Der wird angeprangert für alles und nichts. Egal. Aber Wiederholungen schaffen keine Tatsachen.
Als nächstes schüren Ideologen die Angst. Sie ist ein feiner Verbündeter. Wer den Schuldigen akzeptiert, hat die Angst vor ihm gleich mitgekauft.
Damit startet Schritt drei: Vom Einzelfall aufs Allgemeine schließen. Ein Jugendlicher schlägt einen Jüngeren: Die Brutalität in der Schule nimmt zu. Ein Ausländer klaut: Alle Ausländer bedrohen unser Eigentum. Außer natürlich die italienischen Pizzabäcker. Aber Pizza ist ja inzwischen ein deutsches Gericht. Hundert Nazis machen Randale: Alle Deutschen sind Rassisten. Ja, so herum geht es auch. Mit dieser Art von Beweisen lässt sich trefflich die Angst steigern.
Aber die Ideologen haben selbst auch Angst: Angst vor Alternativen. Die Idee, dass man miteinander nachdenkt, Ideen entwickelt, Lösungen abwägt, erste Schritte ausprobiert, die Wirkung beobachtet, korrigiert, nochmals nachdenkt und so weiter, alles dies ist ihnen ein Gräuel. Sie wissen alles. ALLES. Nur nichts von ihrer eigenen Beschränktheit.
Um sich vom erarbeiteten Wissen und dem sachlichen Beweis abzuschotten, gründen sie zum Beispiel im Internet Portale für Gegenöffentlichkeit. Im Regelfall findet man dort zusammengeschusterte Berichte mit geringem Nachrichtenwert und hohem Hasspotential. Man gebärdet sich nach den bewährten Mustern: siehe oben. Allerdings stellt man sich als „Aufklärer“ dar, als der einzige, der die Wahrheit sagt. Diese dort verkündete Wahrheit ist Verschwörungstheorien extrem ähnlich. Meist ist es nur billige, vorsätzliche Lüge.
Kommen wir zu den Beweisen. Menschen lieben das Augenscheinliche. Dazu gehört die Idee: Wenn zwei oder mehr Sachen gleichzeitig passieren, hängen sie zusammen. Oder noch schlimmer: sind sie kausal, also ursächlich verbunden. Dabei hilft es enorm, wenn man sich vorher auf einen Schuldigen festgelegt hat. Beispiel: Flüchtlinge kommen ins Land. Ich bin arbeitslos. Wer ist schuld? Oder der Kindergarten wird geschlossen – wer ist schuld?
Diese Art der Logik ist so alt wie die Menschheit: Wer mit nassen Füßen herumläuft, hat morgen Schnupfen.
Überhaupt lieben es Ideologen, phantasievolle Zusammenhänge zu erfinden. Gerade gelesenes Beispiel: In Deutschland werden die alten Menschen nicht versorgt und Menschen sitzen auf der Straße und betteln, aber die Flüchtlinge bekommen Geld. Na da muss man sich doch empören – oder vielleicht doch nicht?
Nein, denn wenn wir unsere alten Menschen ins Altenheim abschieben, sie dort mit Medikamenten ruhigstellen, sie nicht in die Gemeinschaft integrieren usw., dann hat das eben nichts mit Flüchtlingen zu tun, sondern mit unserem eigenen Verhalten. Wer sich als Penner auf der Straße schon morgens um 10 Uhr mit Bier betrinkt, hat sich dazu entschlossen. Denn er hätte auch andere Entscheidungen in seinem Leben treffen können – und sei es mit Hilfe von anderen.
Am allerwenigsten aber ertragen Ideologen Humor. Sie können vor lauter Bierernst natürlich nicht über sich oder eine Situation lachen. Humor setzt Abstand, Differenzierung und Lockerheit voraus. Ideologen müssen die Medien zensieren, die Menschen mundtot machen, den Witz verbieten, die Journalisten beschimpfen, das freie Gespräch, das entspannte Nachdenken verunglimpfen.
Als Gegenprogramm schimpfen Ideologen, dann randalieren sie, am Ende scheuen sie sich nicht, Menschen zu drangsalieren, zu verletzen, zu töten. Wenn man die Schuldigen kennt, ist ihr Tod Teil der eigenen guten Sache. So einfach, ja leider so einfach ist das.
Und jetzt?
Hausaufgabe: Machen sie den Ideologietest. Bei sich selbst. Bei allem, was sie hören oder lesen. Und dann starten sie als Eigentherapie das Zusammenhangserfindespiel. Beispiel: Ich konnte leider nicht pünktlich kommen, weil meine Großmutter rote Haare hat. Je toller die Begründung, umso größer der Heilungseffekt.