Liebes Deutschland, bitte stelle sofort die Klimaanlage aus. Mir ist kalt. 16° Celsius sind einfach keine Temperatur zum Wohlfühlen. Ich habe schon im Hotel in Dubai immer gegen die „Air Condition“ gekämpft, darum will ich es nicht auch noch in Deutschland tun. Es müssen ja nicht gleich die 34° C sein, die gestern um Mitternacht herrschten, als ich mit dem gekühlten Taxi zum Flughafen fuhr. Zum Glück lässt du es gerade nicht regnen, denn das bin ich auch nicht mehr gewohnt. Verehrtes Deutschland, bitte erhöre mein Flehen nach Wärme.

Gestern noch, am letzten Tag meines Dubaiaufenthaltes, habe ich die Wärme genossen. Ich konnte entspannt dabei sein, denn mein Seminar war beendet, meine Sachen zusammengeräumt und ausgestattet mit der guten Nachricht, dass die Abfertigung am Flughafen Dubai zügig und reibungslos verlaufen werde. Also schnell eine Abschiedstour starten.

Die wichtigen touristischen Höhepunkte in Dubai hatte ich besucht, sie ausgiebig bewundert, erwandert, bestaunt. Ich habe Altes und Neues gesehen, Aufbruch und Tradition, erstaunliche Moderne und manch deutliches Bekenntnis zum Bewahren. Jetzt, an diesem letzten Abend, wollte ich noch einmal das normale Leben spüren, nicht das Außerordentliche.

Die großen und berühmten Malls sind Räume zum Flanieren, sich Zeigen. Die Mall, die ich mir jetzt erwählt habe, ist anders. Die Ibn Battuta Mall wird von ganz normalen Menschen besucht, weil sie Dinge des täglichen Bedarfs benötigen. Zumindest tendenziell. Natürlich gibt es auch Geschäfte mit Designerware, aber auch H&M betreibt einen großen Laden.

Das alles ist nicht sehr aufregend.

Was bei Ibn Battuta erstaunt, ist das architektonische und inhaltliche Konzept. Die eingeschossige Mall ist in Bereiche gegliedert, die alle einen Länderschwerpunkt haben. Natürlich gibt es Arabien und seine Beziehungen zum Islam. Dazu gehört auch Ibn Battuta, der ein Weltreisender im 14. Jahrhundert war. Seine Reiserouten sind auf großen Schautafeln dargestellt. Er hat die ganze damals bekannte Welt bereist: Asien, den Orient, Afrika und die südlichen Teile von Europa. Geholfen haben ihm dabei die naturwissenschaftlichen Erfindungen, die in der arabisch-islamischen Welt gemacht worden waren und die alle mit Mathematik und Astronomie zu tun haben. Sie ermöglichtem dem Reisenden die Orientierung, also die Antwort auf die Frage: Wo bin ich? Was muss ich tun, um an mein Ziel zu finden? Eine etwas ungewöhnliche Thematik in einem Einkaufszentrum?

Im chinesischen Teil der Mall steht ein riesiges Handelsschiff. Dazu kleinere Boote und wieder Erklärungen. Es gibt einen ägyptischen Teil, einen indischen, persischen und jordanischen, tunesischen und noch ein paar mehr. Farben und Formen der Gänge sind dem jeweiligen Land angepasst. Sie münden in hohe Kuppelhallen, in denen Cafés zum Sitzen und Plaudern einladen, was auch getan wird. Kinder tollen herum, Väter schieben Kinderwagen und Mütter schauen nach den Schuhgeschäften.

Auffallend mehr Frauen tragen die schwarze Abaya mit dem Kopftuch als in den großen Malls wie der Dubai Mall oder Mall of the Emirates. Plötzlich spüre ich intensiver, dass ich wirklich in einem arabischen Land bin. Natürlich laufen auch hier Mädchen und Frauen in kecken Kleidern herum, die sich in jedem liberalen westlichen Land sehen lassen könnten. Doch ich spüre Unterschiede. Aber welche?

Ich glaube, es liegt an der Art und Weise, wie die Menschen miteinander umgehen. Man bemüht sich zu zeigen, dass man eine Familie oder ein Paar ist, dass man eine in sich abgeschlossene Einheit ist. Man braucht und will keine Kontakte zu anderen, zu Fremden, also zu solchen, die nicht „Familie“ sind. Ich sehe solche geschlossenen „Einheiten“ durch die Mall eilen, den Mann voranstrebend, die verschleierte Frau dahinter. Ich sehe die Paare, die nebeneinander gehen, ohne sich an den Händen zu halten, wie ich es sonst bei Paaren, besonders den verliebten, kenne. Die Menschen berühren sich nicht. Ich erinnere: „Küssen verboten.“

Dem Augenkontakt mit Fremden wird konsequent aus dem Weg gegangen. Besonders ich als Singlemann bin ein Tabu. Ist es kindlicher Übermut, dass ich es dennoch versuche? Nicht aufdringlich, nicht frech, aber wenn es sich ergibt, will ich der Kurzbegegnung mit den Augen ein Lächeln folgen lassen. Wenn es gelingt, ist es kein Triumph, sondern ein verschwiegenes Kooperieren für die Länge eines Lidschlags. Danach ist alles wieder brav getrennt.

Ich habe bei meinen Augenversuchen nicht zwischen Männern und Frauen unterschieden, habe den einfachen Träger im Hafen genauso wenig ausgelassen wie die Verkäuferinnen am Parfümstand. Aber die haben eigentlich niemals geantwortet. Ich war der Falsche, weil ganz offensichtlich kein potentieller Kunde. Oder sie waren nach einem langen Tag einfach zu erschöpft, um solche Art der Mikrokommunikation noch zu pflegen.

Wer jemals in den USA war, weiß, wie leicht dort ein Gespräch begonnen wird. Woher man komme und so weiter. Das ist mir in Dubai fast gar nicht gelungen. Am ehesten noch mit den Taxifahrern. Sie stammen auffallend häufig aus Pakistan. Wenn ich gleich am Anfang des Gesprächs sage, dass ich liebe pakistanische Freunde in Riyadh habe, ist das Eis gebrochen. Dann wird erzählt und gefragt. Wenn ich dabei erfahre, dass mein Fahrer zum Flughafen seit vier Jahren in Dubai lebt und noch keinen freien Tag gehabt hat, um sich in der Stadt etwas anzusehen, passt das nicht ins Bild. Taxifahrer und das Servicepersonal in den Hotels und Restaurants gehören zu den unteren sozialen Schichten. Sie müssen sehr hart arbeiten, um sich ihr Geld zu verdienen. Es ist nicht viel, aber es ist mehr als in den Ländern, aus denen sie kommen.

Mit dem gesellschaftlichen Gegenpol, den Emiraties, habe ich in den zwei Wochen keine Begegnung gehabt. Ich habe diese Einheimischen auch nicht in meinen Seminaren gehabt, weil sie eigentlich überhaupt nicht bei Unternehmen arbeiten. Sie sind in den Ministerien und der Verwaltung tätig – und dort werden sie so großzügig bezahlt, dass es für sie keinen Antrieb gibt, sich bei westlichen Unternehmen anstellen zu lassen.

Die Ibn Battuta Mall stellt unaufdringlich Fragen an die Menschen, die hier einkaufen. Wie hältst du es mit dem Fremden? Mit dem Anderen? Mit den Fremden? Mit den Dingen, die du noch nicht kennst? Diese Mall belehrt die Kauflustigen auf eine unaufdringlich-fröhliche Art. Sie stellt die Eigentümlichkeiten der verschiedenen Länder nebeneinander, ohne zu bewerten. Mag sein, dass die Auswahl tendenziös ist. Die christliche Welt spielt keine Rolle. Auch andere Religionen außer dem Islam werden nicht genannt. Aber es wird auch nicht dagegen polemisiert. Im Vordergrund stehen Naturwissenschaft, Reisen und Handel. Damit kann ich gut leben.

Ich bin zurück im Kühlschrank Deutschland. Ich sitze im Zug und schaue auf ein pralles, fettes Grün, das vor dem Fenster dahinflitzt. Das gibt es in Dubai nicht und auch nicht in Saudi-Arabien. Vielleicht habe ich dieses Grün ein wenig vermisst.

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