Es gibt Künstler und ihre Werke, die mich schon seit meiner Schul- und Studienzeit begleiten. Doch hält heute noch stand, was mich damals erstaunte? Eine erstaunliche Wiederbegegnung gelang kürzlich im Kunstmuseum in Bern mit dem bildnerischen Werk Otto Nebels – das literarische hatte ich nie aus den Augen und Ohren verloren. Doch wer ist denn Otto Nebel? Muss man den kennen?
Ja. muss man. Jedenfalls dann, wenn man die Kunst des frühen zwanzigsten Jahrhunderts verstehen und überschauen möchte und sich fragt, was aus den aufmüpfigen Anfängen in den zwanziger Jahren geworden ist.
Otto Nebel wuchs auf in Berlin. Er lernte dort nach dem ersten Weltkrieg alle führenden Künstler kennen, die sich im sogenannten „Sturm-Kreis“ um den Galeristen Herwarth Walden zusammenfanden. Die Freundschaft mit Paul Klee und Wassily Kandinsky hielt ein Leben lang. Aber auch zum Dadaisten Kurt Schwitters hatte Nebel freundschaftliche Beziehungen.
Aber eigentlich ist es nicht wichtig, um diese Beziehungen zu diesen weltweit bekannten Malern zu wissen. Otto Nebel ist Künstler genug, um sich als ein eigenständiger Schöpfer zu behaupten. Das haben ihm manche Kunstgeschichtler abgesprochen. Er sei Klee-Epigone, Kandinsky-Epigone. Doch schauen wir genauer hin.
Das erste, was bei Otto Nebel auffällt, ist sein Fleiß. „Fleiß macht noch keinen Künstler!“ mag jemand rufen. Stimmt, aber es ist eine sehr günstige Voraussetzung. Früh hat Nebel angefangen, in Projekten zu denken. Er nannte sie Mappenwerke. Er schuf Serien und Sammlungen zu einem Thema. Akribisch lotet er ein Thema aus, umkreist es, findet immer wieder neue Blickwinkel und Varianten. Es ist nicht das eine genialische Bild, was er will. Er schafft sich in seinem künstlerischen Universum viele Sonnensysteme. Die großen Dom-Bilder mögen stellvertretend für diese Art des schaffenden Denkens stehen.
Ein zweites fällt ins Auge, wenn man an Nebels Bildern ganz nahe herantritt. Niemals sind sie hingeschludert. Auch hier wieder nichts von genialischer Geste. Dagegen genaue und sorgsamste Ausführung. Sehr oft überlagert er zarte, nur wenige Millimeter lange Farbstriche zu einem Geflecht. Die geschaffene Farbigkeit bekommt ein Eigenleben. Sie flirrt und schwebt vor dem Auge, das sich sein Farberlebnis daran bildet. Immer wieder überlagern sich solche Farbstrukturen und bilden verschlungene Formen. Dabei sind es nicht Muster, die entstehen, sondern so etwas wie geheimnisvolle Schriftungen, die sich dem sie entziffern wollenden Auge darbieten. Nebel nutze dafür das Wort „Runen“.
Im Berner Kunstmuseum, wo die Nebelausstellung leider nur noch bis zum 24. Februar 2013 zu besichtigen ist, hat man die Chance, auch Klee-Bilder im Original zu sehen. Fast war ich enttäuscht nach der Erfahrung mit den Bildern Otto Nebels. Seine formale und inhaltliche Klarheit berührt nicht immer auf Anhieb – aber sie setzt sich fest als Qualitätsniveau.
Die Ausstellung in Bern ist befristet – leider. Was bleibt, ist der hervorragende Katalog. Er enthält nicht nur sehr viele brillante Abbildungen, sondern auch informative, einfühlsame und kenntnisreiche Erläuterungstexte zum Leben Otto Nebels und zu seinem literarischen und bildnerischen Werk.