Die Diskussion über die Gefährlichkeit von Hunden hat ihn populär gemacht: den Wesenstest. Mit seiner Hilfe soll herausgefunden werden, ob ein Hund unter Stress zu einer gefährlichen Kampfmaschine mutiert oder nicht. Wenn er den Test besteht und seine Ungefährlichkeit amtlich bestätigt wurde, kann er aufatmen. Im anderen Fall: Rübe runter.

Ich will nicht wieder die Diskussion anstoßen, welche Hunderassen als Kampfhunde bezeichnet werden dürfen. Als Hundehalter weiß ich nur soviel: Jeder Hund ist ein Tier mit Instinkten, Ängsten und Gewohnheiten. Nicht alle sind für unseren menschlichen Blick vernünftig, aber oft arttypisch. Das ist nicht das Problem des Hundes, sondern der Menschen.

Darin steckt eine klare Konsequenz: Nicht der Hund bedarf des Wesenstests, sondern der Hundehalter. Alle Hundehalter müssten sich einem Test unterziehen, wie sie unter Stress reagieren. Bleiben sie nett und freundlich, nehmen den Hund an die Seite oder lassen ihn bei Fuß gehen, dann haben sie ihn bestanden. Ansonsten? Siehe oben.

Doch denken wir den Gedanken etwas weiter. Alkohol und Menschen: Nach Einschüttung alkoholischer Getränke gibt es Zeitgenossen, die werden müde und träge. Andere drehen auf, aus dem Übermut wird Aggression und Gewalt. Nicht selten kommen dann Menschen zu Schaden. Also: Wesenstest für Alkoholtrinker. Bleiben sie friedlich und werden nur schläfrig, haben sie ihn bestanden. Wenn nicht? Siehe oben.

Autofahrer? Natürlich! Die auch! Ein Wesenstest für Autofahrer. Wer auf der Autobahn auf der linken Spur hinter einem Schleicher und Verkehrsbehinderer fährt und zu wilden Hubkonzerten, Lichtzeichenorgien und Geschrei hinter dem Lenkrad mit Drohgebärden neigt – der hat verloren. Die Konsequenz ist bekannt.

Einmal in Fahrt, fallen mir noch viele Wesenstestgruppen ein: Priester und Pfarrer. Für die ist es allerhöchste Zeit. Deren Skandale werden nicht nur verschleiert und verharmlost, was viele Menschen empört. Sie bekommen einen Wesenstest mit Zusatzoption. Lehrer? Die meisten sind ok, aber bei einigen? Kein Problem, der Wesenstest klärt. Wenn nicht? Siehe oben.

Und dann die Politiker. Ach, die brauchen den Wesenstest dringend. Wer täuscht, lügt, unter scharfer Befragung von Journalisten ausweicht und ablenkt, wer falsche Versprechungen macht und den Kontakt zur Vernunft verliert, der hat den Test nicht bestanden. Also: siehe Ende Absatz eins.

Geradezu selbstverständlich müssten Wesenstests bei unseren pubertären Jugendlichen eingeführt werden. Wer freche Widerworte gibt, nicht fleißig in der Schule lernt, die elterliche Autorität in Frage stellt: durchgefallen. Dass wir selbst wohl auch durch die Pubertät gegangen sind, kann uns Verfechter von Wesenstests nicht erschüttern. Wir waren anders. Wir hätten immer bestanden.

Doch warum nur Einzelmenschen einem Wesenstest unterziehen? Für alle Männer gibt es den Vergewaltigerwesenstest. Die Frauen absolvieren den Schuhkaufwesenstest. Was ist mit den Sachsen, den Bayern, den Schwaben? Klar, ein Wesenstest klärt alles. Die Wessis? Natürlich. Die Ossis? Wahrscheinlich. Die Deutschen? – keine Antwort –

Aber die Türken? Selbstverständlich. Die Amerikaner? Ist doch klar. Die Iraner? Wer fragt da noch. Die Menschen?

Ja, alle Menschen. Ein Wesenstest für Menschen bezüglich ihrer Menschlichkeit.

Da kommen mir plötzlich Zweifel: Wer soll denn, bitte sehr, einen solchen Menschenwesenstest durchführen? Was sind die Maßstäbe? Nach welchen Kriterien? Müssen Menschen, die einen Menschenwesenstest durchführen, vorher einen Wesenstest für Menschenwesenstesteignung absolvieren? Und wer nimmt den ab? Brauchen wir einen Menschenwesenstesteignungswesenstest? Fragen über Fragen. Wissen Berater eine Antwort? Natürlich nur, wenn sie vorher einen Beraterwesenstest bestanden haben. Wenn nicht? Siehe oben.

Da schaut mein Hund mich wissend an. Ich verstehe sofort. ER macht den Menschenwesenstest.

Ich wusste es, im Grunde ist alles ganz einfach.