Zum fünften Buch von Catalin Dorian Florescu „Jacob beschließt zu lieben“ – Eine Leseempfehlung
„In jedem Sturm steckt ein Teufel.“ Wie ein Sturm ist dieses Buch. Auch in ihm steckt ein Teufel, tummeln sich Dämonen, schlägt das Schicksal zu, indem es sich des Menschen bedient.
Aber auch die Liebenden gibt es, die Beschützer, die Treuen. Die Unermüdlichen, die sich einer großen oder kleinen Aufgabe stellen, die die Welt wenigstens um ein Weniges verbessern wollen. Nicht allen gelingt es, auch sie können irren, scheitern, sterben.
Ist „Jacob“ eine 400-Seiten-Familiensaga? Vielleicht.
Ist es ein Buch über das Banat, seine Besiedlung und die Gründung des Dorfes Triebswetter, über dessen Wirren zu Anfang bis hin in die Zeit des zweiten Weltkriegs? Irgendwie ja – oder auch gar nicht.
Allzu verführerisch wäre es, „Jacob beschließt zu lieben“ als ein Geschichtsbuch zu lesen. Schließlich lassen sich zeitgeschichtliche Ereignisse, Namen und Orte identifizieren und auf Karten finden. Es soll sogar schon Menschen aus Triebswetter geben, die meinen, ihre Familie entdeckt zu haben, nur weil sie Namensähnlichkeiten feststellten. Und die dann empört sind, weil ja gar nichts stimme, sie auch nicht befragt worden seien und überhaupt alles ganz anders sei.
In einer gewissen Hinsicht haben sie recht: Es ist alles erfunden. Jacob gibt es nur als eine erzählte Figur, seinen Vater Jakob mit k ebenso. Elsa und Eva, Ramina und Katica, Caspar und Frederic. Alles in diesem Roman ist erfunden, nichts ein Schlüssel oder Scharnier zu dem, was wir Realität nennen und das meist nur Alltag ist.
Im „Jacob“ ist Realität bestenfalls Metapher – seine Wirklichkeit ist eine ganze Welt.
Dieser Unterschied ist wichtig. Wer ständig nach versteckten Verknüpfungen suchte, verlöre die Literatur aus dem Blick. Jacob erwacht zum Leben, weil wir von ihm lesen können. Wir werden vom Autor Florescu hineingeführt in eine Welt voller Sinnenhaftigkeit, voller Gerüche und Geräusche. Wir erleben mit, wie der Großvater sich die Erde an die Wange streichelt, um herauszufinden, ob sie bereit ist, bestellt zu werden im Frühjahr. Wir kuscheln an der dicken Ramina und spüren das scheue Begehren des jugendlichen Jacob. Wir riechen den Knoblauch, den Mist und die Seife.
Über all die vielen Eindrücke, die den Leser umhüllen, umschmeicheln, bedrängen oder gar vor den Kopf schlagen, stellen sich die Fragen: Was ist das für einer, dieser Jacob mit c? Warum lässt er sich von seinem Vater verprügeln und verraten? Was gibt ihm Mut? Was hält ihn am Leben?
Woher kommt so einer wie Jacob?
Catalin Dorian Florescu bietet uns drei Antwortmöglichkeiten an, indem er auf Jacobs Vorfahren blickt. Caspar Obertin schlägt sich am Ende des Dreißigjährigen Krieges durch nach Lothringen zurück. Er wähnt sich am Ziel, nämlich bei seinem Zuhause. Für den eigenen Hof ist er bereit, Menschen umzubringen.
Einhundert Jahre später macht sich Frédéric Obertin auf, über Ulm ins Banat zu ziehen. Auch er sieht nichts Verwerfliches darin, Menschen zu jagen und auch zu töten, wenn es zu seinem Lebensplan passt.
Und Jakob mit k? Er kommt aus dem Sturm. Ganz sicher ist er irgendwie des Teufels. Auch er hat einen Lebensplan, dem er alles unterwirft: die Ehefrau, den Schwiegervater, den Sohn Jacob mit c.
Wie verführerisch wäre es für Florescu gewesen, Jacob mit c zum Gutmenschen zu machen. Dann wäre die Lehre des Romans schön einfach: Das Böse verliert, das Gute siegt. Aber seien wir ehrlich: Würden wir das glauben? Haben wir es nicht längst satt, mit solchen Plattheiten abgespeist zu werden?
Jacob hat als Figur einen unschätzbaren Vorzug: Er darf ein Schicksal haben. In diesem Buch dürfen Menschen scheitern, weil sie Großes wollen oder manchmal auch nur Niederes. Es wird nichts geschönt, nichts verniedlicht. Florescu macht um der Zufriedenheit des Lesers willen keine Zugeständnisse. Wenn ein Lebensbogen zu seinem Ende kommen soll, dann geschieht das auch.
Wer sich mit diesem Jacob mit c einlässt, wird nicht geschont. Es ist keine glatte Lebenslinie. Die Taten seiner Vorfahren sind eben nicht Erklärung und Grund für sein Handeln. Und doch schwingt alles ineinander, verwebt sich zu einer Chronik, die ihre eigene kraftvolle Wirklichkeit im Lesen offenbart. Allein das macht dieses Buch lesenswert.
Aber es kommt tatsächlich noch besser.
Wie endet solch ein Schicksalsbogen? Ich gestehe, dass ich mich mit Angst dem Buchende näherte. Ich spürte die Fallen: Ja, Jacob findet ein neues Leben wieder in Lothringen. Ja, Jacob versöhnt sich mit seinem Vater Jakob. Wie schön. Wie billig. Wie langweilig. Wie schlecht.
Der Roman weiß das, Florescu erst recht. Nichts vom dem geschieht. Soll ich verraten, wie das Buch endet? Nein, aber die letzte Einstellung, so würde man im Film sagen, ist besser als jeder Schlussstein in einem großen romanischen Torbogen. Oder wieder wie im Film: Für einen letzten Moment rückt die Kamera noch einmal ganz nah an Jakob und Jacob heran, offenbart schmerzhaft Details, rührt wie mit einem Finger in der Wunde – um dann sich zu lösen, davon- und hinaufzufliegen, das irdische Leben hinter sich zu lassen, die Orte, die Erde.
Im Kopfkino geht das Licht an. Menschen drängeln an mir vorbei, strömen irgendwohin. Ich bleibe noch für einen Augenblick sitzen und sinne diesem Jacob nach, von dem ich glaubte, ihn verstanden zu haben. Aber vielleicht sollte man bei einem Menschen nie sagen: Jetzt kenne ich dich.
Catalin Dorian Florescu: Jacob beschließt zu lieben. C.H. Beck Verlag, München 2011. ISBN 978-3-406-61267-1. 405 Seiten. Gebunden. 19,95 Euro.
Nachtrag: Am 21.9.2011 wird „Jacob“ auf die Shortlist des Schweizer Buchpreises gesetzt. Das bedeutet, dass er sich neben vier weiteren Titeln behaupten muss, wenn es zur finalen Entscheidung kommt. Am 20. November 2011 könnte C. D. Florescu in Basel die 50.000 Schweizer Franken gewinnen. Wir gratulieren als erstes zur richtigen Entscheidung, diesen Roman auszeichnen zu wollen. Und wir drücken die Daumen fürs Finale.
Mehr Informationen dazu unter http://www.schweizerbuchpreis.ch/ .
Nachtrag 2: Das Daumendrücken wird belohnt: Am 20.11.2011 wird dieser Roman mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet. Herzlichen Glückwunsch an Catalin.
Die Nachricht dazu und ein nettes Interview mit dem Autor in Schweizerdeutsch auf http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/11/20/Kultur/Schweizer-Buchpreis-fuer-Jacob-beschliesst-zu-lieben .
catalin
26. März 2011, 16:01 Uhr
lieber bernd,
du hast ganz schöne worte für meinen roman gefunden. du zeichnest die züge des romans nach, zeigst die figuren, stellst fragen, ohne sie unbedingt beantworten zu müssen. diese offenheit aber auch die parteinahme für dieses buch schätze ich sehr und danke dir herzlich dazu.
catalin