Ich kenne den US-Bestsellerautor Richard Louv nicht. Ich wusste bis heute nicht, dass sein letztes Buch in zehn Sprachen übersetzt wurde und in fünfzehn Ländern erschienen ist. Ich kenne nur diese kleine Zeitungsmeldung, die offenbar über irgendwelche Agenturen lief und auch in der Thüringer Allgemeinen erschien: 

Thüringer Allgemeine vom 29.8.2011

Thüringer Allgemeine vom 29.8.2011

Klingt doch vernünftig – oder?

Doch fangen wir mal ganz anders an. Da ist ein Kind. Und dann gibt es die Natur. Die Natur ist gut. Sie hilft, dass unsere armen Kinder gesund bleiben und keine Krankheiten bekommen. Wenn das Kind die Beziehung zur Natur verliert, wird es krank.

Wo hält sich das Kind auf, wenn es nicht in der Natur herumspringt? Richtig, in den virtuellen Welten. Im bösen Internet, in den noch böseren Computerspielen, auf Facebook und all dem Kram. Ist doch verständlich, dass man dann gewalttätig oder süchtig werden muss.

So weit ist alles klar?

Für mich nicht, gar nicht. Ist das oben genannte Kind das Produkt der virtuellen Welten? Nein? Ach so, Papa und Mama und die ganzen dazugehörigen Spielchen haben das Kind usw. Und Papa und Mama, auch virtuell? Nein, auch die haben wieder Papas und Mamas und so durch die ganze Evolution. Wie auch die Blümchen, die Bäumchen, wie die Natur.

Halt! Wie die Natur? Ja ja, Papa und Mama und Kind sind auch Natur, nur sehen sie etwas anders aus als Felsen, Büsche, Mäuse und Elefanten. Aber sie sind aus der Natur entstanden, sie gehören zur Natur. Also müssen Kinder nur bei sich selbst sein, dann ist alles gut, weil sie dann in der Natur sind. Klingt doch einfach, oder?

Herr Louv glaubt aber wohl, nur die Natur da draußen macht gesund, wenn man sich mit ihr verbindet. Also erinnere ich ihn an den Tsunami vor ein paar Jahren in Indonesien und in diesem Jahr in Japan. Ist ein Tsunami Teil der Natur? Jawohl doch. Also ist er gut. Nur blöd, wenn sich Kinder gerade mit der Natur verbunden hatten, als der Tsunami kam.

Und die Dürre in Afrika? Keine Natur? Oh doch, auch Natur. Nur keine liebe und freundliche. Sondern eine brutale. Himalaja, 8000 Meter über dem Meeresspiegel – auch Natur? Auch lieb? Nein, es ist die Todeszone. Aber Herr Louv sagt: Kinder in die Natur schicken.

Was ist die Schlussfolgerung? Herr Louv unterliegt einer Naturverklärung, die so irreal ist, dass ich sie gerne virtuell nennen möchte. Er hat längst vergessen, dass wir Menschen Teil der Natur sind und nicht ihr Gegenstück. Er konstruiert eine Weltanschauung mit Gut und Böse, mit Erlösung und Verteufelung. Aber das ist alles nur ziemlich platte Ideologie, die sich aber prächtig verkaufen lässt, weil sie erst einmal klug klingt. Leider muss man sich, wenn man sie kennenlernen möchte, in die virtuelle Gedankenwelt eines Buches begeben und kann nicht einfach im Buch der Natur schmökern. Dumm gelaufen für den Herrn Louv.

Wenn Herr Louv redlich gewesen wäre und nicht ein Ideologe, hätte es gereicht, wenn er folgendes sagt: Hallo Kinder, sitzt nicht nur rum, sondern geht auch mal wandern oder springt über Bäche und spielt im Schlamm. Wenn ihr euch danach wieder hinsetzt und ein Buch lest, zappeln euch nicht die Beinchen und ihr könnt euch besser konzentrieren.

Doch das kann jeder sagen, dazu braucht man kein berühmter Schreiber zu sein. Also Herr Louv, geh in die Natur und frage dich bitte, wie du dich wieder als ihr Teil erleben kannst – und höre auf mit deinen Unweißheiten. Danke.