oder warum es richtig ist, dass Jugendliche Ernst machen dürfen

Menschen schließen sich zusammen, gründen einen Verein vor sechzehn Jahren und realisieren seit mehr als fünf Jahren vier bis sechs Theaterproduktionen, einige Workshops und Gelegenheitsauftritte – pro Jahr. Dafür gibt es Fördermittel, ein paar Paten und Spenden. Das ganze heißt „art der stadt e.v. – theater der stadt gotha“.

Mal ehrlich: Braucht das eine Stadt? Ist es richtig, Geld dafür auszugeben, dass ein paar Jugendliche und auch ältere Menschen wochenlang ein Stück proben, das dann nur wenige Aufführungen erlebt?

Eine rein betriebswirtschaftliche Analyse mit einer Gewinnabschätzung würde ein vernichtendes Urteil fällen: sinnlos, trägt sich nicht: schließen. Zu wenig Output bei zu viel Einsatz. Ende.

Doch merkwürdig: Die Menschen, die diesen Kulturverein machen, leben, erleben, denken offenbar anders. Nicht, dass sie den Bezug zum Finanziellen verloren hätten, im Gegenteil: Über Gehaltsverzicht, eine gewisse Selbstausbeutung und knappste Kalkulationen kommt man über die Runden – mehr oder weniger. Mehr wäre deutlich besser.

Neben die monetäre Bilanz sollte man eine soziale Bilanz stellen. Die sieht etwa so aus: Kinder, Jugendliche und Erwachsene unterschiedlichsten Alters kommen zusammen. Sie wollen etwas gemeinsam machen. Sie fragen nicht, woher einer komme oder was er könne, sondern was er bereit ist einzubringen. Generationenkonflikte, soziale Unterschiede oder allerlei Herkünfte verdampfen über der Frage: Wie kommen wir zu einem vorzeigbaren Ergebnis? Wie motivieren wir uns, wenn wir nicht weiterwissen? Was macht einer, wenn ihm die Lust ausgeht? Darf er gehen und sich beim nächsten Mal wieder zugehörig fühlen? Wie können Außenanforderungen in die intensive Probenzeit integriert werden, zum Beispiel Schulaufgaben oder eine Klassenarbeit? Wenn man sich gegenseitig hilft und der Französischtest plötzlich eine gute Note ist: Muss man dann noch seine Eltern anbetteln, doch zur Probe gehen zu dürfen? Was passiert, wenn man sich an einer seelischen Grenze befindet, wird man aufgefangen, hängengelassen oder angestupst, noch einen kleinen Schritt mehr zu versuchen?

Was passiert mit Menschen im Alltag, die sich die Welt erobern, indem sie ein Theaterstück proben und erobern; die andere Ideen zulassen, weil sie eine merkwürdige Figur verkörpern, die diese Ideen mit Leidenschaft vortragen soll?

Diese Menschen wollen am Ende ein Theaterstück aufführen, für das andere Menschen Eintritt bezahlen werden. Da reicht es nicht zu sagen: Wir haben uns angestrengt, aber sorry, leider ist nichts Gescheiten herausgekommen.

Die Bühne ist unerbittlich: Entweder funktioniert ein Stück oder nicht. Entweder kann man seinen Text, seine Figur – oder nicht. Entweder geht man voll in seiner Aufgabe auf – oder nicht. Die Zuschauer sind nur so lange gutmütig, wie sie Leidenschaft fühlen. „Gut gemeint“ ist auf jeden Fall das peinliche Ende. Gerade junge Menschen, die ihren Weg in diese Welt hinein finden wollen und sollen, erleben auf der Bühne den Wert, den eine Sache aus sich selbst heraus hat – oder eben nicht.

Theaterspielen ist keine sozialpädagogische Arbeit, bei der der Weg großherzig über das Ergebnis gestellt wird. Es zählt nur die echte Leistung, abgeliefert mit Kopf, Herz und Körper.

Kann es sich eine Stadt leisten, auf diese Arbeit zu verzichten? Theaterspielen ist wie der Stein, der mit großer Energie in einen See geworfen wird. Der Stein mag klein sein gemessen an der Größe des Sees. Aber er schlägt Wellen, die sich ausbreiten.

Menschen, die theaterspielen, leben anders in einer Gemeinschaft. Sie erleben sich selbst kraftvoller, tatkräftiger. Sie fühlen und wissen, dass sie etwas abliefern können, wenn sie sich anstrengen, wenn sie bereit sind, ihr Bestes zu geben: ihre Begeisterung, ihren Ehrgeiz, ihren Fleiß. Damit begegnen sie ihrer Familie, Freunden, Fremden. Die wieder erzählen von der interessanten Entwicklung ihrer Kinder, ihren Theaterfreunden, von einer überraschenden Begegnung. Das zieht Kreise – weit über das Theaterstück hinaus.

Der art der stadt e.v. in Gotha ist ein sozialer Tatort. Weil er die Tat in den Mittelpunkt stellt, indem er das Wort ergreift – und nicht die Mordwaffe. Das darf einer Stadt etwas wert sein: den Stadtvätern und Stadtmüttern, den Unternehmen und den Verwaltungsmenschen, den Bürgern klein und groß.

Die soziale Bilanz für diese Art/art von Kulturarbeit fällt so gigantisch positiv aus – man muss es nur verstehen wollen.

 

Bis zum 12.1.2012 kann man in meiner Fotoausstellung „spot on – kinder bewegen die stadt“ in der Kreissparkasse Gotha ein paar Ergebnisse dieser Arbeit mit Jugendlichen anschauen, die die Bewunderung zu Recht verdienen.