Sie könnten meine Kinder sein oder die meines besten Freundes: die drei Musiker von OK KID. Sie haben Anfang April ihre erste CD veröffentlicht. Und was ist daran spannend? Was ist denn so toll an dieser Musik? Ach, Hip-Hop – hör ich sowieso nicht. Ach, elektrisch auch, also gar keine richtigen Instrumente. Und deutsch singen die drei Jungs? Nuscheln sie wenigstens so, dass man nichts versteht? – Falsch, alles falsch. Es ist die witzigste, raffinierteste und lustig-ernsteste Musik, die ich in letzter Zeit zu hören bekommen habe. Was macht OK KID denn anders?
Zur Bandgeschichte: Begonnen hat alles vor ein paar Jahren in Giessen, jener „grauen Stadt“, die über gar kein Meer verfügt. Singen jedenfalls OK KID heute. Damals hießen sie noch Jona:S – denn die Band scharte sich um den Sänger Jonas Schubert. Man spielte auf Festen und kleineren Festivals, profilierte sich in Wettbewerben und wurde gefördert. Die Bandmitglieder studierten oder gingen einer Arbeit nach. Doch irgendwann stand die Entscheidung an: Soll Musik Zeitvertreib und schönes Hobby bleiben oder in den alleinigen Mittelpunkt rücken? Die Idee der Band: Wir ziehen alle nach Köln für ein Jahr und machen nur unsere Musik. Danach kann man weitersehen.
Wahr gemacht haben diese Entscheidung am Ende nur drei der ehemals sechs Musiker: der Sänger Jonas Schubert, Raffi Kühle (Drums und Elektronik) und Moritz Rech an den Keyboards. Aus Jona:S wurde OK KID.
Was passiert, wenn musikalisch gut ausgebildete Jungs konsequent an einer Idee arbeiten? Wenn sie wach in der Welt stehen, beobachten und präzise beschreiben können, wenn sie experimentieren, verwerfen, umschreiben und alles live auf der Bühne vor Publikum ausprobieren?
Vergessen wir Genrenamen und Musikstile. Hören wir doch einfach mal zu, was uns geboten wird. Doch wo anfangen? Von den 13 Titeln sind mindestens die Hälfte echte Favoriten.
Für einen ersten Vergleich bietet sich Track 13 „Mehr, Mehr“ an. Diesen Song hatte Jona:S schon einmal 2009 mit vier weiteren veröffentlich. Damals wurde er zügig, fast ein wenig gehetzt vorgetragen, die Instrumente wurden gradlinig und ohne Verfremdung eingesetzt. Jetzt, 2013, klingt der Song völlig neu. Er wird gereifter, langsamer und bewusster vorgetragen. Musikalisch ist er viel ausgeklügelter, spielt mit Klangverdichtungen, nutzt zum Beispiel den Hall, um Stimmungen noch deutlicher zu charakterisieren. Überhaupt ist er konturenreicher, es gibt mehr Klangfarben, mehr klangliches Experiment. Aber nicht zum Selbstzweck, sondern um die Aussagen des Textes zu hintergehen, zu übersteigern und zu brechen. Man höre sich nur das Ende an, wie die schönen Harmonien sich ins Universell-dissonante auflösen.
Und wovon handelt dieser Song? Ja Freunde, das ist allerbeste Zeitkritik von jungen Menschen, die mitten in dem stehen, wovon sie singen, was sie selbst tun und auch wieder gar nicht gut finden: mehr wollen wir, obgleich wir schon alles haben. Das kann zur platten Aussage verkümmern oder sich in einem Song steigern, der plötzlich zu dem wird, was er selbst beklagt. Die Musik selbst ist das „Mehr“, was alle so gerne hätten. Sie ist die Frucht von harter, intensiver und leidenschaftlicher Arbeit und Anstrengung, die darum so leicht und melancholisch-unbekümmert daherkommen kann. Diese Musik zeigt ein wenig von dem, was ein Sinn des Lebens sein könnte.
Mein persönliches Lieblingslied allerdings ist „Am Ende“. Es ist eine Hymne auf die Unvollkommenheit. „Denn am Ende wird alles wieder gut. Und so lange es uns nicht gut geht, können wir das Ende nicht sehn … haben wir auch kein Problem.“ Das ist vertrackt um die Ecke gedacht und doch logisch. Ist das nicht prächtig?
Zu gerne möchte ich weiter schwärmen. „Einsatz“ erzählt aus Sicht der Eltern und des Jugendlichen zugleich, ein Song über das Heranwachsen, das Sich-Überschätzen, der Hilfe und des Mahnens. Warum hat das bisher noch keine Gruppe fertig gebracht, so auf den Punkt zu bringen – und dabei musikalisch so zu glänzen?
Soll ich weitermachen? Doch vielleicht würde mein Schwärmen mir dann nicht mehr abgenommen werden. Also begnüge ich mich der Schlusserkenntnis: Selberhören macht glücklich.
P.S.: Neben der CD gibt es auch für nur unwesentlich mehr Euros die Vinylausgabe (2 LPs) + die CD. Na, wäre das nicht was?
P.P.S.: Das Jahr, das sich OK KID gegeben hat, ist längst vorbei. Sie sind zusammen geblieben – und ich wäre mehr als beleidigt, wenn sie nicht weitermachen würden.
P.P.P.S.: Wird OK KID berühmt werden? Werden sie nicht nur inhaltlichen, sondern auch kommerziellen Erfolg haben und eines Tages ganz von ihrer Musik leben können? Ich wünsche es ihnen von Herzen – und wenn sie Glück haben, merken die meisten Hörer gar nicht, dass diese Musik viel zu intelligent ist.