Ein sonniger Sonntag, gerade richtig für eine Runde Joggen mit Hund Anton ein kleines Stück außerhalb der Stadt. Für Einheimische: der Krahnberg.

An Gotha vorbei führt ein ökumenischer Pilgerweg, der als Jakobsweg beschildert ist. Er folgt im Wesentlichen der Via Regia, einer alten Handelsstraße.

Als ich knapp drei Laufkilometer hinter mir hatte, begegnete ich zwei Wanderern. Beide trugen Rucksäcke und Wanderstöcke und machten überhaupt den Eindruck, just auf jenem Jakobsweg zu sein.

Als ich als ambitionierter, aber deswegen nicht automatisch talentierter Läufer an den beiden Wandersleuten vorbeilief, ergab sich folgender Dialog:

Wanderer: „Oh, so eilig.“
Ich: „Nein. Aber ich trage ja auch keinen Rucksack.“

Harmlos, oder? Erst eine Weile danach wurde mir deutlich, dass dies in seinem Kern ein philosophischer Dialog war.

Was hatte mich der Wanderer in Wahrheit gefragt? Ich versuche mal die Langversion: „Du läufst aber schnell durch die Welt. Du kannst ja gar nichts wahrnehmen. Schau uns an, wir setzen entspannt einen Fuß vor den anderen. Dadurch ist es uns möglich, die Welt und damit uns selbst zu erkennen. Aber das kann einer, der nur rumjoggt, natürlich nicht erleben. Du solltest auch weise werden, indem du aus der Hektik des Alltags aussteigst.“

Was habe ich darauf in Wahrheit geantwortet?

Erster Teil meiner Antwort: „Nein. Ich eile mich gar nicht. Ich laufe sehr entspannt. Ich habe weder Wettbewerbe im Sinn noch muss ich irgendjemandem mit meinem Laufen etwas beweisen, muss keine von außen diktierten Leistungsparameter erfüllen – und überhaupt mache ich das alles ganz freiwillig. Wenn es für dieses Laufen einen Anstoß von außen gibt, dann ist das mein Hund Anton, der auf täglichen Auslauf besteht. Aber da Anton von uns gewählt wurde, wussten wir, was dieser Hund uns täglich abverlangen würde. Doch das, was er benötigt, nämlich Auslauf, ist nichts anderes als die Bewegung, die auch uns Menschen die Gesundheit ermöglicht. In diesem Sinne hilft Hund Anton mir, meinen inneren Schweinehund zu besiegen. Er ist damit so etwas wie ein Therapiehund.“

Der zweite Teil meiner Antwort: „Sicherlich würde ich, trüge ich einen Rucksack von mehreren Kilogramm Gewicht, langsamer laufen, wahrscheinlich auch nur gehen. Doch dieser physische Rucksack interessiert mich nicht. Er ist nämlich bloß das äußere Bild für einen inneren, seelisch-geistigen Zustand. Wer sich auf einen Pilgerweg begibt, hat dafür einen Grund. Er will etwas für sich klären, abarbeiten oder finden. Das Schicksal hat ihm etwas auf den Buckel gepackt, das ihn bedrückt und beschwert. Darum erhofft sich der Pilger Reinigung und Klärung dadurch, dass er auf den Pilgerweg geht. Die geistliche Unterstützung, die er dabei zu Recht erwartet, soll zur Heilung seines Zustandes beitragen. Danach will er erneuert und gereinigt ins Leben zurückkehren, neue Entscheidungen treffen, Probleme bereinigen und was sonst noch die Früchte seines Pilgerns seien. Ich jedoch“, so meine Antwort, „fühle mich nicht belastet. Ich bin eins mit mir, kenne meine Grenzen und ahne Möglichkeiten. Ich brauche nicht auf den Jakobsweg zu gehen, da seelische Klärung mein tägliches Tun stets durchzieht. Es gibt keinen Rucksack unbewältigter Konflikte, die ich abzuwandern hätte. Aus diesem Grunde kann ich heiter durch die Welt um Gotha herum joggen, begleitet von Hund Anton, der mal vorausspringt, mal hinterhertrottelt, so wie meine Seele es auch tut.“

Wanderer: „Oh, so eilig.“
Ich: „Nein. Aber ich trage ja auch keinen Rucksack.“