Wenn es nicht so ernst wäre, könnte es einen Sprach/Sprechmenschen froh machen. Die Macht der Sprache – und damit der Meinungen, Ideen und Gedanken – ist ungebrochen. Oder anders: Die Wahrheit über Regierungen, Organisationen und Bündnisse zeigt sich darin, wie sie mit unliebsamen Worten umgehen. Beweise gefällig?
Ich habe noch die Sätze im Ohr von Sprachverfall und Verstummen einer Gesellschaft, von der Wirkungslosigkeit der Reden in Parlamenten oder im Bundestag, von der Sinnlosigkeit, eine Meinung zu haben und sie zu äußern. Die Mächtigen – wer immer das ist – würde solch Sprachgeräusch nicht wirklich stören.
Die Realität sieht ganz anders aus.
Meine These: Jede Organisation, die auf Macht beruht, zeigt ihren wahren Charakter durch die Art und Weise, wie sie Sprache reglementiert. Und unter Organisationen verstehe ich Regierungen, Machthaber, Gruppierungen oder was auch immer sich zusammentut und Macht ausübt. Freiheitlich strukturierte Organisationen ertragen und manchmal erdulden sie auch freies Sprechen, Nachdenken und Veröffentlichen. Alle anderen beweisen ihren Charakter mit Verboten.
Warum tun sie das? Weil sie Angst haben, so einfach ist das. Weil sie sich bedroht fühlen, weil sie um ihre Macht fürchten. Weil sie die Meinungs- und damit Denkhoheit beanspruchen. Weil sie keine Menschen wollen, die mitdenken, selbst denken oder überhaupt denken, egal wie sinnvoll oder aberwitzig das manchmal sein wird. Denn Denken ist ja nicht zwingend an Qualitätsdenken geknüpft. Man kann auch leicht mal ziemlichen Quatsch denken, auch wenn einem das selbst gerade nicht auffällt. Aber spätestens, wenn man mit Freunden oder guten Feinden darüber redet, eröffnen sich Korrekturen und neue Aussichten.
Ach ja, ich hatte ja ein Beispiel versprochen: Am 29. Juni 2013 stand auf Seite 8 der FAZ ein Artikel von Petra Kolonko mit dem Titel: „Die sieben Sünden des Kommunisten“ und dem Untertitel: „Der neue Parteichef in China verkündet Denkverbote.“ Der Artikel beginnt so: „Der Maulkorberlass kam direkt vom Zentralkomitee der Partei. Sieben Themen seien von jetzt an in der öffentlichen Diskussion zu vermeiden: Meinungsfreiheit, universale Werte, Zivilgesellschaft, Bürgerrechte und die Unabhängigkeit der Justiz, auch über die Fehler der Partei in der Vergangenheit solle nicht mehr diskutiert werden, verlangte die Parteiführung. Die interne Direktive fand ihren Weg ins Internet, wurde aber schnell von der Zensur gelöscht.“
Offenbar nicht schnell genug – auch wenn ich selbst nur sechs Themen zählen kann. Was ist das siebente? Aber egal.
Diese Aufzählung ist eine wunderbare Zusammenfassung wichtiger Themen, die in allen Gesellschaften auf der Tagesordnung stehen sollten. Dabei sollten wir nicht bloß nach China schauen, das in regelmäßigen Abständen Beispiele ausgeprägter Zensur und Meinungsunterdrückung liefert. Auch wenn ich glaube, dass in Deutschland das Thema Meinungsfreiheit ganz brauchbar gehandhabt wird, so sind bei Bürgerrechten oder bei den universalen Werten durchaus viele Fragen offen.
Wie viel Freiheit leistet sich eine Gesellschaft? Wie viel Offenheit, wie viel Querdenken, wie viele unbequeme Fragen? Wie viele irrwitzige und am Ende vielleicht doch nicht so abwegige Ideen werden ausgesprochen, gelangen zu Gehör, werden besprochen und diskutiert, erzeugen Pläne, Aktionen und Handlungen – die nicht jedem passen, die aber in den großen gesetzlichen Spielraum passen, den zum Beispiel unser Grundgesetz aufspannt?
Wir sollten wachsam sein im Großen wie im Kleinen, im Globalen wie im Regionalen für das, was nicht mehr zur Sprache gebracht werden soll, darf oder kann. Oder anders: Leute redet, sprecht miteinander, phantasiert und argumentiert, plaudert, plant und plappert über Zukunft und Ärgernisse, über Erfreuliches und Störendes.
Lasst euch nie den Mund verbieten. Die Macht der Sprache ist ungebrochen, solange sie noch verboten wird.